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Do, 26. Dezember, 2024
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Identitätsprobleme der zweiten Generation

(mmm) Im Jahre 2001 führten wir unter den in Deutschland lebenden Inderinnen und Indern der zweiten Generation, sprich der hier geborenen und aufgewachsenen „Inderkinder“ eine viel beachtete Umfrage durch. Wir wollten wissen, ob sie sich „eher deutsch“ oder „eher indisch“ fühlen oder gar „weder noch“. Unser Redakteur MMM versuchte, das Identitätsproblem tiefgehend zu analysieren.


„Wer bin ich, woher komme ich ?“
„Wer bin ich, woher komme ich ?“ Die Urfragen des Menschen an sich kehren zurück. Seitdem der Mensch denken kann und sein Intellekt und Verstand ihm rationales, kritisches Fragen und Hinterfragen ermöglicht, stellte er sich die Frage nach seinem Ursprung und seiner Existenz. Das Spiegelbild, das ihn von der Wasseroberfläche des Sees anstarrte bedurfte eines Namens, einer Definition, kurz gesagt: einer Identität. durch sie definiert sich der Mensch bezüglich seiner Umwelt: Mitmenschen, Tiere, Pflanzen, die Erde, das Weltall, Gott. Ohne diese Positionierung und Einbindung in ein größeres Ganzes ist es ihm unmöglich nach dem Warum zu fragen. Sinn und Zweck seines Daseins findet er erst, sobald er sich seiner selbst sicher ist, weiß, wer er ist und was ihn ausmacht. Die Welt sei ein Fußballspiel: solange ich nicht weiß, welche Position ich spiele – Stürmer, Mittelfeld, Libero – solange ich mich zum einen nicht in der Mannschaft und zum anderen nicht im gesamten Spiel einzuordnen weiß, wird mein Mitspielen nichts weiter als ein unkordiniertes hin und her Rennen ohne erkennbaren Plan und Strategie bleiben.
„Wer bin ich, woher komme ich?“ Eine Frage, die alle Menschen beschäftigt – oder zumindest beschäftigen sollte. Doch besonders für Kinder ausländischer Eltern, die hier in Deutschland aufgewachsen sind, für Kinder aus Mischehen oder für Adoptivkinder ist diese Fragestellung äußerst schwierig zu beantworten, da eine eindeutige Zuordnung zu einem der zwei Kulturkreise nicht möglich ist.
Identität als Zwiespalt: „eher indisch“ oder „eher deutsch“?
Südasiatisch-deutschen Kindern ist dieser Zwiespalt sehr groß, da sich besonders die südasiatische und westeuropäische Lebensart und Lebenseinstellung von Grund auf unterscheiden. Die Unterschiede im einzelnen darzulegen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, jedoch wird die Kenntnis dessen beim Leser für das Verstehen der Materie vorausgesetzt. Durch die enormen Unterschiede und die sich dadurch ergebenden Gegensätze sehen sich die „Inder“ der zweiten Generation diversen grundsätzlichen Problemsstellungen gegenübergestellt. Um sich selbst zu definieren, die eigene Identität zu finden, bedarf es intensiver Auseinandersetzung mit beiden Kulturen und einer Untersuchung der persönlichen Eigenschaften auf Charakteristika des jeweiligen Kulturkreises. Nach erfolgreicher Selbstanalyse gibt es demnach drei Möglichkeiten:
1.) eher indisch.
2.) eher deutsch.
3.) keine eindeutige Tendenz zu erkennen bzw. keine Entscheidung möglich
1.) und 2.) sind relativ unproblematisch, da sie eine mehr oder minder eindeutige Selbstdefinition unterstützen, wobei 3.) das Problem eher vergrößert als löst. Ein Beispiel: Was sagt eine Person, die sich unter 3.) einstuft im auf die Frage „Sind sie Deutsche(r)?“ oder wie antwortet sie im Urlaub auf „Where do you actually come from ?“
In den Herkunftsländern zumindest wird man immer – egal wie integriert oder anerkannt man auch ist – als „Inder in Deutschland“ oder „Deutscher in Indien“ angesehen. Spätestens wenn es zu Konfliktsituationen kommt, wird das Argument der kultureller Andersartigkeit als defensives bzw. offensives Mittel benutzt. Dem ist an sich – also grundsätzlich – nichts schlechtes abzugewinnen, da oft genug gerade diese Differenz zu den „echten“ bzw. einheimischen Menschen der Herkunftsländer die Konflikte auslösen oder zumindest erweitern. Der Identitätsfindung ist diese Unterscheidung jedoch nicht sehr dienlich.
Gemeinschaft und Individuum
Die Themen bzw. Situationen mit dem größten Konfliktpotenzial sind meines Erachtens nach jene, in denen es um individuellen Handlungsfreiheit, freies Entfalten des persönlichen Charakters und somit um den Individualismus an sich geht. Die frühere, ja selbst die heutige indische Gesellschaft setzt die Gemeinschaft und das Wohl der Gesamtheit normativ weitaus höher an als sogenannte westliche Gesellschaften. Der Einzelne opfert sich (bzw. sollte es zumindest tun) und große Teile seiner individuellen Bedürfnisse für die Familie, den Beruf, und/oder für eine höhere Macht (z. B. Gott) auf dass es der größeren Gemeinschaft besser gehe und sie durch seinen Beitrag fortbesteht. Somit ist das Überleben der Gemeinschaft (im Kleinen) bzw. der Gesellschaft (im großen) gesichert. Ein uraltes System, dass auf Tradition Religion und Verantwortungsbewusstsein basierend seine eigene Existenz und Evolution durch sich selbst garantiert. Im Westen hingegen ist das Individuum das höchste Gut, persönliche Freiheit und die Möglichkeit alles – in gewissen gesetzlichen Rahmenbedingungen – tun zu können und zu dürfen ist das viel beschworene Credo. Aus Rücksicht auf andere die eigenen Bedürfnisse zurückschrauben oder Zugeständnisse zu machen wird oft als „Unterdrückung der Persönlichkeit“ empfunden und interpretiert und demnach auch entsprechend gegeißelt. Beide Lebensmottos haben Vor- und Nachteile. Die Unterdrückung der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten (z.B. Berufs- oder Partnerwahl) in Indien oder den zunehmenden Verfall von allgemein gültigen Normen und Werten in der westlichen Gesellschaft sind nur einige Beispiele für die wohl bekannten Schattenseiten der Systeme.
Zweite Generation der Inder/innen in Deutschland
In diesen Zwiespalt lebt nun die zweite Generation der „Desis“ in Deutschland. Aufgezogen von Eltern, die zwar u. U. seit Jahrzehnten in dieser westlichen Welt leben, aber trotzdem noch die Lebenseinstellung und Wertegefühl der indischen Gesellschaft vertreten und an ihre Kinder weitergeben möchten, und aufgewachsen in einer sich ständig stärker individualisierenden „Gesellschaft des Einzelnen“ im Westen. Ich denke, wir werden uns damit abfinden müssen, diesen Konflikt niemals wirklich auflösen zu können. Es liegt an jedem einzelnen, sich selbst in oder zwischen den Kulturen und Ländern einzuordnen und diese Einordnung und Positionierung auch konsequent und überzeugt beizubehalten. Position beziehen und auch in schwierigen Situationen zu seiner selbst gewählten Identität stehen, sollte das Ziel eines jeden sein. Sich die Rosinen von Situation zu Situation rauszupicken ist zwar auch eine Einstellung, aber ein Indiz für eine gefestigte Identität bzw. in sich ruhenden Charakter ist das mit Sicherheit nicht.
„Als was fühlt Ihr Euch?“ Ergebnis einer Umfrage.
Nachdem nun die Umfrage „Als was fühlt Ihr Euch?“ bereits zwei Wochen im Netz steht und sich bis dato 60 Personen beteiligt haben (leider sind Mehrfachabstimmungen nicht auszuschließen) sind folgende Tendenzen erkennbar: Über 80 % der Teilnehmer konnten sich mehr oder minder für eine Richtung entscheiden: 30 % sahen sich ganz oder eher als Deutsche und 30 % ganz oder eher als Inder. Die Restlichen zwanzig Prozent konnten sich keiner Kultur eindeutig zuordnen und gaben an entweder beides oder gar nichts zu sein.
Ein für mich zwar nicht überraschendes, aber dennoch merkwürdiges Ergebnis. Die Frage, die ich mir diesbezüglich stelle ist, wie man sich eher als Inder fühlen kann? Die meisten von uns sind doch einer deutschen Gesellschaft aufgewachsen, haben hauptsächlich mit Deutschen – oder ausländischen, ebenfalls in Deutschland aufgewachsenen, Menschen Kontakt (denn schließlich gibt es hier keine indische Subkultur wie in Großbritannien und teilweise in den USA) und haben nie wirklich den indischen Alltag erlebt (es gibt Ausnahmen !).Wieso glauben fünfzig Prozent der Befragten , die indischen Einflüsse, denen sie ausgesetzt sind und/oder waren machen sie nun zu Indern ? Es ist sehr schwierig die Gründe dafür zu verstehen, denn es bleibt doch zu überlegen, warum die wenigen indischen Einflüsse auf diejenigen eine so unglaublich höhere Wirkung haben sollen als die ständig und auch in ihrer Quantität viel größeren deutschen Einflüsse. Ich denke, dass fast alle, die sich eher als indisch als deutsch sehen, sich entweder nicht über ihr Deutschsein im klaren sind, d.h. dass sie nicht wahrnehmen dass sie durch viele Umstände hier in Deutschland deutsch geworden sind, oder es auch nicht wollen (was ich für wahrscheinlicher halte). In der indischen Gesellschaft ist es nicht angesehen sich zu assimilieren und dann dazu auch noch zu stehen – außerdem werden hier in D’land Inder oft als „Exoten“ und interessant eingestuft – ein weiteres Argument für Indischsein. Letztlich gibt es noch ein ganz einfaches Argument: das Anderssein. Jeder Mensch möchte sich von der Masse abheben, individuell anders, kurz gesagt ein Individuum sein. Als Mensch indischer Herkunft ist dieses „Anderssein“ in einer deutschen Gesellschaft sehr einfach, in dem man sich ganz einfach als „Inder“ betitelt.
Dem freud’schen Analytiker, der im Zuge des Diskurses über Deutsch- und Indischsein einen interessanten und in die Tiefe gehenden Beitrag schrieb möchte ich für die Anregungen danken, aber auch gleichzeitig die Nützlichkeit einer Kategorisierung und Definition bzw. in unserem Fall Einordnung in ein – von der Gesellschaft vorgegebenes – Muster aufzeigen. Recht hat er, wenn er hinterfragt „Was nützt mir die Definierung wieviel von mir Inder und wie viel Deutsch ist?“ und diese sofort mit „Nichts“ beantwortet. Solange man sich nicht in einer Gesellschaft befindet, in der nun einmal Abstraktionen, Generalisierungen und Einordnungen (vor allem in der Sprache) das Zusammenleben und besonders die Kommunikation erst ermöglicht, bringt es mir gar nichts mich selbst zu positionieren. Da wir jedoch auf ein Miteinander und Verständigung angewiesen sind, ist eine Definition des „wer bin ich“ bzw. „woher komme ich“ sehr hilfreich um mich in der Welt zurechtzufinden und manchmal auch mich meinen Mitmenschen besser erklären zu können. Auch wenn ich keine eindeutige Einordnung vornehmen kann, so habe ich mich zumindest mit dem Thema und den Argumenten kritisch auseinander gesetzt und Selbstreflektion hat bis jetzt noch niemandem wirklich geschadet.
Es wäre schön, wenn der oder die eine „Inder/in“ seine/ihre Erklärungen oder Beweggründe darstellt oder versucht zu erklären. Vielleicht verstehe ich euch danach ja besser und ändere meine Meinung diesbezüglich.

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