Von Selina Nayyar. „Wie die Puppe ein Adler sein wollte, der Esel ein Löwe, die Äffin eine Königin, so wollte die Null eine Zahl sein.“ Dreimal wurde die Ziffer Null schon im Laufe der Menschheitsgeschichte erfunden. Das erste Mal von den Babyloniern, das zweite Mal von den Maya und schließlich von den Indern.
Die Babylonier benutzten schon vor dem Ende des 4. Jh. die Null. Die damalige Zahl ähnelte jedoch in keinster Weise der Form unserer heutigen Null, sie diente eigentlich nur dem Zweck der Lückenfüllung, so war für die Babylonier das Ergebnis von 200 minus 200 nicht Null, sondern einfach „Nichts“.
Eine andere Kultur entdeckte ebenfalls schon früh die mysteriöse Null. Die Maya. Diese indianische Hochkultur entwickelte bereits zwischen dem 3. und 9. Jh. nach Chr. ein Stellenwertsystem inklusive Null. Doch der Nachteil: das Stellenwertsystem der Maya war unregelmäßig und so konnte die Null nicht zum Rechnen sondern lediglich zum Zählen verwendet werden. So begann bei ihnen der Monat nicht mit dem 1. sondern mit dem 0. Tag. Ähnlich wie bei den Babyloniern, diente die Null den Indianern ansonsten auch nur zur Bezeichnung einer Leerstelle.
Zum Glück jedoch gab es da ja noch die Inder…
Ursprünglich war auch in Indien ein Rechensystem verbreitet, das dem der Römer glich. Diese verwendeten Rechenbretter auf denen es keine Nullen gab, sondern Spalten für Einser, Zehner, Hunderter, Tausender. Diese Methode war in ganz Europa verbreitet und so benutzten sogar noch Ende des 18. Jh. englische Finanzbeamten Rechentafeln (sogenannte „exchequers“, noch heute heisst der englische Finanzminister „Chancellor of the Exchequer“) um die Steuern zu ermitteln.
Bei diesem System wie auch bei dem indischen, kam es aber zu gigantischen Zahlenketten, und da die Gelehrten Indiens meistens auf getrockneten Palmblättern schrieben, die mühsam herzustellen waren, wurde dieses System allmählich lästig. Vor allem für die Bramahnen die sich intensiv mit der Astrologie beschäftigten und mathematische Rechnungen aufstellen mussten war es eine anstrengende Plagerei mit dem alten Rechensystem.
Da erfanden sie einfach die Null.
Die indische Variante der Null ist wohl die genialste aller Null- Erfindungen, und machte diese Zahl zu dem was sie noch heute ist.
Die Null der Inder tauchte erstmals als Punkt bzw. Kreis im 7. Jh. n. Chr., in Inschriften in Kambodscha und Sumatra auf. Die Verbreitung des Shivaismus und Buddhismus in Indochina zu jener Zeit, lässt darauf schließen dass es sich um eine indische Null handelt. Verstärkt wird diese Behauptung dadurch, dass die Inschriften mit Sanskritnamen unterlegt waren. Die Sanskrit-Bezeichnung für Null ist „sunya“, was so viel wie „die Leere“ bedeutet.
In Indien selbst wurden die ersten Nullen bereits in Dokumenten aus dem 5. Jh. n. Chr. entdeckt. Im Zuge der Erfindung der indischen Null entwickelten die Inder das Positionssystem, in dem sich der Wert einer Ziffer je nach Position verändert, auf der sie gerade steht. Wenn also die 2 an erster Stelle steht hat sie den Wert 2. Folgt ihr eine Null ergibt das die Zahl 20 usw. – damit konnten die Inder von nun an mit nur 10 Ziffern beliebig große Zahlen schreiben und sparten eine Menge Palmenblätter. Erst durch dieses System, dass in dieser Weise davor nirgends existierte, wird die Genialität der indischen Null klar. Diese Zahl hat nicht länger die Aufgabe des Lückenfüllers oder verkörpert das „Nichts“, sondern verzehnfacht den Wert aller anderen Zahlen, hängt man sie hinten an.
Die Macht die mit der Null verbunden ist, wurde schnell von anderen Völkern Asiens erkannt. So übernahmen die Chinesen die indische Null bereits im 8. Jh. Auch die Araber waren begeistert von dieser Erfindung und nahmen die Null in ihr Rechensystem auf.
In der ostarabischen Schrift hat die Null die Form eines Punktes, die noch heute in der Schrift der Ägypter, Syrier, Türken, Afghanen, Pakistani, Iraker und Iraner vorkommt und als „hindi“ bezeichnet wird.
Unsere kreisförmige Form der Null stammt von der westarabischen Schrift ab. Die Null kam nämlich Anfang des 13. Jh. durch Handelsbeziehungen zwischen Arabien und Italien nach Europa. Hier wurde sie allerdings lange Zeit als Teufelswerk abgetan. Die Europäer wollten sich einfach nicht von ihren liebgewonnen Rechentafeln trennen.
Leonardo von Pisa befasste sich schon 1202 mit in seinem Werk „Liber abaci“ mit der indischen Null, fand aber damals noch keine Zuhörer. Erst im 17. Jh. fand die Null endlich Anerkennung im europäischen Volke. Die sog. “ Rechenmeister“ jener Zeit setzten sich für diese Neuartigkeit ein und führten eine Reform durch. Einer von ihnen war Adam Riese, der sogar sprichwörtlich geworden ist.
Durch die Araber wandelte sich der Sanskritname der Null „Sunya“ in „sifr“, in Italien wurde aus „sifr“ „zefiro“, in der venezianischen Mundart entstand daraus ein „zero“. Die Franzosen machten aus diesem Wort ein „cyfre“ bzw. „chiffre“. In England bürgerte sich der Begriff „zero“ ein und in Deutschland schließlich wurde die Null „Zeifer“ genannt. Die heutige Bezeichnung „Null“ stammt vom lateinischen „nulla figura“ ab.
Und so gelang es der Null doch noch eine richtige Zahl zu werden, und zwar eine einzigartige.