So hat Okwui Enwezor, der Leitende Kurator der Documenta 11, ein in New York lebender Nigerianer, zum Beispiel Sarat Chandra Maharaj in sein Kuratoren Team eingeladen. Maharaj ist indischer Abstammung und in Süd Afrika geboren, zur Zeit lehr er am Goldsmiths College University London (UK), der Jan Van Eyck Akademie Maastricht (NL) und der Humboldt Universität Berlin (D). Er beschäftigt sich in seiner Arbeit mit kulturellen und Postkolonialen Themen, dabei untersucht er hauptsächlich die Liquidität möglicher (Inter-)Kultureller Übersetzungsansätze. Die LeserInnen unter euch, die zur zeit in Deutschland sind und sich für eine seiner Vorlesungen, gespräche oder workshops interssieren sollten sich entweder unter http://www.arthistory.hu-berlin.de weiterinformieren oder die öffentlichen Workshops in Kassel besuchen (Documenta 11, 26. Juli und 30. August, jeweils um 18:00 Uhr).
Obwohl schon die Documenta X (1997) Gayatri Chakravorty Spivak, eine der interessantesten Theoretikerinnen asiatischer Abstammung, eingeladen hatte, um am Documenta-Diskurs teilzunehmen, so war es erst die Dokumenta 11, die diese Kunstshow des westlichen Kunstmarkts einem weltweiten Markt öffnete. Documenta 11 iniziierte so auch ihre zweite Plattform (Diskussionspanel) in Neu Delhi (IND) (die Documenta 11 begann letztes Jahr mit vier Plattformen eine Vor-Diskussion der diesjährigen Ausstellung in Kassel). Nach Neu Delhi wurden einige der interessantesten und herausragendsten asiatischen Thoretikerinnen, KünstlerInnen und FimemacherInnen eingeladen: Shahid Amin (Professor für Geschichte und Rektor der Fakultät für Soziale Wissenschaften der Universität Delhi), Rustom Bharucha (unabhängiger Schriftsteller, Theaterregiessuer und Dramaturg, Kolkatta), Urvashi Butalia (Mitbegründerin von Kali for Women), Gurjot Malhi (Operations Commander in the Office of the Prosecutor, International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY), United Nations, Den Haag), Dilip Simeon (Senior Research Fellow des Oxfam Trust in Delhi) und Amar Kanwar (Dokumentarfilmer Neu Delhi).
Die Documenta 11 lud auch einige der führenden TheoretikerInnen, AkademikerInnen und politischen AktivistInnen asiatischer Abstammung als GastrednerInnen zu den anderen drei Plattformen ein (in Wien (A)/Berlin (D), Lagos (NG) und St. Lucia (LC): Upendra Baxi (Professor of Law in Development, University of Warwick), Akeel Bilgrami (Professor of Philosophy at Columbia University), Bhiku Parekh (Professor of Political Theory at the University of Hull, Member of the House of Lords), Homi K. Bhabha (Professor for English and American Literature and Language, and African American Studies at Harvard University, Cambridge, Massachusetts), Harbans Mukhia (Professor of History and Rector at the Jawaharlal Nehru University, New Delhi) und Annie Paul (Journalistin/Schriftstellerin).
Lasst uns nun die Liste der 128 nach Kassel eingeladenen KünstlerInnen ansehen – hier finden wir einige der interessantesten zeitgenössischen indischen KünstlerInnen, Kultur- und PoltaktivistInnen und FilmemacherInnen:
Ravi Agarwal (*1958 in Neu Delhi, India. Lebt in New Delhi, IND): Seine zentrale fotojournalistische Reise führt uns mitten in den Alltag der Arbeiter im indischen Süd-Gujarat, die über keinerlei oder lediglich über unrentablen Grundbesitz verfügen. Durch seine einzigartigen sezierenden Fotografien werden wir mit einem extrem heterogenen informellen Sektor „vorindustrieller“ Arbeiter konfrontiert, die in beengten Manufakturen, in Privathaushalten, in Slums, unter freiem Himmel, auf der Straße, im Feld, im Steinbruch, im Flussbett und als Wanderarbeiter ihrem Tagewerk nachgehen.
Zarina Bhimji (*1963 in Mbarara, Uganda. Lebt in London, UK): Für ihren Film Out of Blue (2002), der für die Documenta11 entstanden ist, kehrt Zarina Bhimji, die seit 1974 in England lebt, nach Uganda zurück, um sich selbst mit der Unmöglichkeit zu konfrontieren, das „was geschehen ist“ in Worte zu fassen. Nachdem sie alle Möglichkeiten der Erzählung ausgeschöpft hat, entfernt Bhimji sich vom Uganda ihrer Kindheit, von seiner Architektur, seinen Flughäfen und Friedhöfen, den Militärbaracken, Arrestzellen und Gefängnissen aus der Zeit von Idi Amins Terrorregime. Eine Narration welche die Entwurzelung und Fremdheit der Kindheit einer zweiten Generation widerspiegelt.
Amar Kanwar (*1964 in New Delhi, IND. Lives in New Delhi, IND): Der unabhängige Dokumentarfilmemacher Amar Kanwar hat sich in vielen Filmen mit den Zuständen im Indien von heute beschäftigt, und so diverse Themen wie die Geschichte und Politik der Wasserförderung in der Wüste, den physischen und geistigen Ort der Frauen und Männer in der Familie und die ökologische Deutung des Buddhismus behandelt. Andere Filme handeln von den Gegensätzen zwischen Globalisierung und Stammesbewusstsein im ländlichen Indien. Kanwars Film Of Poetry and Prophecies (2002), der auf der Documenta11 gezeigt wird, handelt von Poesie und Liedern im heutigen Indien. Der Film entwirft Bilder der Kraft der Dalit-Poesie in Maharastra, die aus der Schicht der arbeitenden, unberührbaren Armen stammt, denen bis heute der kulturelle Fluch der „Unreinheit“ anhaftet. Im Gegensatz dazu steht die ebenso kraftvolle Lyrik der extrem linken naxalitischen Dichter. In Nagaland rezitiert eine Lehrerin zwei Gedichte zwischen deren Entstehungszeitpunkt 25 Jahre liegen, das eine über einen Krieger, das andere über den Schmerz, der entsteht wenn bewaffneter Widerstand nicht mehr von der Gemeinschaft kontrolliert werden kann.
Raqs Media Collective (Gegründet 1991 in Neu Delhi, IND, von Monica Narula, Jeebesh Bagchi, und Shuddhabrata Sengupta): Ein Hauptanliegen der multimedialen Aktivitäten des experimentierfreudigen Medienkollektivs aus Delhi besteht darin, alternative Strategien zum Produzieren und Verbreiten von Information mithilfe des World Wide Web und kostenloser Software umzusetzen. Das neueste Projekt des Raqs Media Collective, 28°28′ N / 77°15′ E :: 2001-2002 (An Installation on the Co- ordinates of Everyday Life in Delhi), behandelt gewöhnliche Formen des Lebens im städtischen Raum sowie das Entstehen und Niederreißen neuer wie alter Gebiete. Co-ordinates Delhi ist im Internet zugänglich und lädt ein, aktiv sowohl das Programm als auch die fotografische Bildsymbolik und öffentlichen Zeichen wie Schilder, Slogans, Klänge und Geräusche des kosmopolitischen Delhi zu verändern, die eine urbane, von ökologischem, sozialem und politischem Missbrauch charakterisierte Textur konstituieren. Primäres Ziel von Co-ordinates Delhi ist es, eine Situation zu simulieren, welche die Angstzustände, die Furcht, aber auch die positiven Seiten des heutigen Stadtlebens aus subjektiver Sicht erfahrbar macht. Co-ordinates Delhi ermöglicht jedem Besucher, seine eigene „Besprechung“ zu schaffen – eine Version der Realität, die weder Klon ist noch Kopie noch Original. Es ist der Versuch, eine andere Art von Gemeinschaft zu evozieren, die auf Willens- und Entscheidungsfreiheit basiert. Raqs ist Teil der Internetgruppe SARAI (http://www.sarai.net ).
Die Weltpremiere von Amar Kanwars Dokumentarfilm Of Poetry and Prophecies (2002) war leider schon im Juni in Kassel – aber für die von euch die ihn trotzdem noch gerne sehen würden oder überhaupt zur Documenta 11 fahren wollen – informiert euch unter http://www.documenta.de
Desweiteren werden Monica Nirula, Jeebesh Bagchi und Shuddhabrata Sengupta einen Raqs Workshop in Kassel abhalten (18.-20. Juli), ich glaube es lohnt sich hinzugehen – schreibt aber bitte vorher eine Anmelde-Email info@documenta.de um euch einen Platz zu reservieren. Und für alle von euch die es diesen sommer nicht nach Kassel schaffen – ich werde versuchen euch über sämtliche asiatischen Events auf der Documenta auf dem Laufenden zu halten