Immer mehr wird Erotik in Sitten, Mode, Werbung und gar in Filmen und in derMusikbranche als Ausdruck zwischenmenschlicher Kommunikation verwendet.
Betrachten wir hierzu einige Beispiele:
Alte Lieder, wie „Roop tera Mastana“ oder neue Lieder wie „Choli ke peecche“, die einen Superhit lieferten und alle Altersgruppen durch die Musik und Texte anziehen, sind ein Indiz dafür, dass Erotik in Indien seit Beginn ein wesentliches Merkmal der Filmgeschichte und der Musikbranche ist.
Selbst in der Kunst der Vishnuismus findet man erotische Darstellungen. Im 16-19 Jahrhundert in den Nordindischen Zentren der Buchmalerei sind uralte indische Symbole der erotischen Kunst wiederzufinden, die in Szenen der mystischen Liebe zwischen der Hirtin Radha und ihrem Geliebten, dem Gott „Krishna“ aufgenommen wird. Sogar in den Höhlentempel findet man Wandmalerei der Liebespaare, welche im 5 Jahrhundert geschaffen worden sind.
Mich fasziniert es zu sehen, wie in Indien Erotik und Religion auf eine raffinierte Art und Weise miteinander vereinigt werden. Vor allem widmen Touristen ihre Aufmerksamkeit den erotischen Darstellungen. Es erstaunt vor allem Angehörige der westlichen Zivilisation, mit welcher Freimütigkeit hier eine der Grundlegenden Themen menschlicher Existenz behandelt wurde. Die erotischen Darstellungen sind Ausdruck der Polarität zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht und ihrer ewigen Beteiligung am ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. Auch die Götter sind diesem Gesetz unterworfen – die geschlechtliche Vereinigung von Shiva und Parvati ist Metapher für die Verschmelzung von Himmel und Erde und die Schaffung eines neuen Weltzyklus. In der Bhagvatgita (heiliges indisches Buch) heißt es von Krishna: „Ich bin die Lust, die zeugt“ und an einer anderen Stelle „Prakriti ist die Mutterform aller Formen, aller Wesen aus dem Schoss der Natur. Ich der Vater, bin der Spender des Samens“. Diese Schöpfungsgeschichte der Welt mit dem Fruchtbarkeitskult in Verbindung zu bringen , reicht weit in die vorvedische Zeit zurück. Bereits in den altorientalischen Reichen stand die Fruchtbarkeit im Zentrum der Religion.
Im Shivaismus wurde sie später sogar zum dominaten Bestandteil und die Darstellung von sich liebenden Paaren (Mithuna oder Maithuna) zu einer wichtigen künstlerischen Ausdrucksform. Im Laufe der Zeit gewann dieses Ritual vielseitige Bedeutungen, die jedoch nicht ohne den anderen wichtigen Aspekt der indischen Glaubensvorstellung zu verstehen ist: die Askese (streng enthaltsame Lebensweise).Ein weiteres Relikt der altorientalischen Fruchtbarkeitskulte ist die vorherrschende Rolle des weiblichen Prinzips, das uns in vielfacher Weise begegnet.Als Shakti, die dem Gott innewohnende weibliche schöpferische Energie als sexuelle Begierde erzeugende „Kamini“, als himmlische Nymphe „Apsara“, aber auch als asketische „Yogini“. Durch ihre Schönheit, ihre ausgeprägten Körperform und ihre herausfordernde Bewegungen betören sie die Männer, spielen eine aktive Rolle zum Versuch, die Asketen zu verführen und die Götter zum Schöpfungsakt anzuregen. Wichtigste Gruppe der erotischen Darstellungen sind die Paare.
Wie man an den einzelnen Beispiele sieht, hat Erotik, die in Indien immer noch ein Tabuthema ist, seit Anfang unserer Kulturgeschichte und Religion Wurzel geschlagen. Die Toleranz in Bezug auf Mode, Ausgehen, Partnerschaften, Freizügigkeit und gar Kastenwesen und andere Lebenssituationen sind reformierter geworden, jedoch sind aus einem bestimmten Scharmgefühlen und Respekt der aufeinandertreffenden Generationen Gespräche über Sex stets ein Tabuthema. Viele Elternpaare würden das Reden über Sex mit den Kindern für unmoralisch erklären. Da jedoch viele Elternpaare in ihrer Mentalität gefangen sind , würden sie das Aufklären gar für unwichtig erklären. Diese Haltung ist seit Generationen unverändert geblieben. Betrachtet man die zunehmende Aidsrate in Indien, so ist es mit Schrecken und zugleich mit Bedauern festzustellen, dass die eigentliche Ursache der Mangel an Aufklärung ist.
Wie würde euer Verhalten aussehen? Welches Fazit und welche Konsequenz würdet ihr ziehen? Würde man als ein „integrierter“ Mensch offensiv handeln und die alt ansässige indische „Moral“ und „Mentalität“ revidieren? Würdet ihr sichtlich der genannten Beispiele die Moral als „falschen Respekt“ bezeichnen ? Ist man als Deutscher -Inder integriert genug, um sich mit seinen Kindern über die Folgen einer Immunschwäche wie AIDS zu unterhalten und sie entsprechend aufzuklären?