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Mo, 23. Dezember, 2024
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1942: "Verlass Indien!"

Gandhi und Bose auf der
Jahreshauptversammlung des
INC in Haripura 1938.
von Anant Kumar. Auf seiner Jahrestagung in Bombay erließ der indische Kongress am 8. August 1942 seine berühmte Resolution „The Quit India Resolution (im Deutschen etwa „Verlass Indien“)“ unter der Führung von Mahatma Gandhi. Er forderte den Subkontinent auf, mit diesem allerletzten Versuch unter seinem Leitspruch „Freiheit oder Tod“ Indien vom britischen Joch zu befreien. Zugleich warnte er das kochende Land vor jeder Art der Gewalttätigkeit. Unentwegt hielt er weiterhin an seiner Leitmaxime fest: Absolute Gewaltlosigkeit.

Die pragmatische schlaue Kolonialmacht hatte jedoch die brodelnde Gewalt der Unterjochten schnell gerochen, und blitzschnell sperrte sie alle Vertreter (insgesamt 148) der Kongresspartei ein, noch bevor die Bewegung „Verlass Indien“ zu rollen anfing. Über Nacht wurde der Kongress verbannt.
Also, der Widerstand „1942: Verlass Indien“ beginnt. Wirbelnd, ohne Anführer. Und wie?
Siehe da! Die Gewalt verbreitet sich Feuer speiend. Im ganzen Land werden die Bahnhöfe, Polizeistationen, Post- und Telegrafenstellen, Regierungsgebäude und alle anderen Institutionen der Kolonialmacht attackiert, geplündert und vernichtet. Sabotagen bestimmen den Alltag. Die indische Mittelschicht ist aus ihrem Schlaf gerissen: Schüler und Studenten, Lehrer und Professoren boykottieren sämtliche Bildungseinrichtungen. Arbeiter gehen nicht in die Fabriken.
Indem die Rahmenbedingungen für Inder in den letzten Jahren günstiger geworden sind, können Sie mehr Druck auf die Briten ausüben. Die deutschen Faschisten haben den Weltkrieg ausgelöst, und sie schwächen die Engländer weiterhin. In Südostasien verschiebt sich das Machtgefüge. Im Osten avanciert Japan unaufhaltsam gegen die britischen Kolonien. Erobernd Südostasien (Singapur, Malaysia, …) besetzen die Japaner Burma im östlichen Indien.
Der zweitgrößte Antrieb dieser zweitgrößten indischen Freiheitsbewegung ist der Bengale Bose, genannt Netaji (im Deutschen etwa Anführer). Das hochgebildete indische Genie Subhash Chandra Bose ist rhetorisch ein exzellenter Redner, ein Stratege und nicht zuletzt ein entschlossener Freiheitskämpfer.
Früh entfernt er sich jedoch von Gandhi und von seiner Gewaltlosigkeit, da er der Meinung ist, dass die Befreiung Indiens ohne Gewalt nicht möglich sei. In dieser turbulenten Phase der Weltgeschichte schlägt er sich auf die Seiten der Faschisten. Er flieht aus der britischen Gefangennahme nach Europa, um Hitler zu treffen. Ein teuflischer Eroberer verhandelt mit einem notgedrungenen Befreier Indiens, und beide einigen sich (vielleicht auch notgedrungen???), dass die Briten, ihre Feinde, niedergeschlagen werden müssen. Unterstützt von Hitler fliegt Bose von Europa aus weiter nach Japan. Mit der japanischen Hilfestellung gründet er INA – Indian National Army, die aus den Überseeindern in Südostasien und den desertierten Soldaten und Offizieren der Royal Indian Army besteht.
Der Kongress entscheidet sich offiziell für Neutralität, weil er in dieser greuelhaften Zeit die beiden Optionen, den Faschismus und die britische Kolonialmacht, aus indischer Sicht als unannehmbar sieht.
Bose hält ununterbrochen feurigrührende Reden unter den Auslandsindern und unter den Kriegsgefangenen der Royal Indian Army in Südostasien. Er erinnert sie an die altbewährte Glorie (Weisheit, Größe, Reichtum, …) ihrer Mutter Indien und zugleich an das von Fremden ausgelaugte bettelarm gemachte Land. Seine Parole lautet etwa „Gib mir Blut, und ich gebe Dir die Freiheit!“ Und der „Marsch nach Delhi“ beginnt erfolgreich – bis Japan nach dem perl-harborischen Fehler von Atombomben besiegt wird. Ebenso stirbt der Anführer Bose 1945 bei einem Flugabsturz. Seine Armee verliert, und die Gefangengenommenen werden vor dem britischen Tribunal in Delhi zu harten Strafen verurteilt.
Genauso wurde die Bewegung „1942: Verlass Indien“ von Anfang an systematisch und äußerst blutig unterdrückt. Indien hatte eine derartige britische Repression seit dem ersten Widerstand 1857 nie erlebt. Die Aktivsten wurden willkürlich mit Maschinengewehren erschossen, und zum ersten Mal fielen im indischen Freiheitskampf Bomben aus Flugzeugen. Tausende starben und die Gefängnisse im ganzen Lande waren überflutet: Über 100, 000 wurden verurteilt.
Der Aufstand „1942: Verlass Indien“ entstand unter der Voraussetzung der Gewaltlosigkeit, verlief jedoch von Anfang an grausam und gewalttätig, und sie mündete letztendlich im Blutbad.
Der Widerstand „1942: Verlass Indien“, der unmittelbar und unzögerlich Indien aus der britischen Fron befreien wollte, scheiterte an seinem Vorhaben im ersten Augenblick. Die Geschichtskenner sind jedoch einig darüber, dass jene nachdrückliche Aufrüttelung zu der letztendlichen Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 führte.
Die Leitparolen dieses Aufstandes „Freiheit oder Tod!“ (Gandhi) und „Gib mir Blut, und ich gebe Dir die Freiheit!“ (Bose) ähnelten sich erstaunlich in ihrer sprachlichen Wiedergabe. Und sie unterschieden sich als zwei Welten in ihrer praktischen Durchführung. Beide vermochten ihr einziges Ziel zu verfolgen: Die Freiheit Indiens. Aber die Regie des Ganzen übernahm die inkohärente Geschichte, die sich im Jahr 1942 als nicht wenig strudelnd erwies.
Und es sei auch daran erinnert:
Gandhi, Vater des modernen Indiens, sprach im Jahr 1942 von der absoluten Gewaltlosigkeit. Das meinte er auch. Und letztendlich gelang es ihm doch nicht: Den vollkommenen Verzicht auf Gewalt seitens des indischen Widerstandes. Und trotz jener tiefen Enttäuschung beging das Skelett seinen Weg noch entschlossener und glaubte unbeirrt an die Wahrheit: „Gewaltlosigkeit ist ein Zustand der Vollkommenheit!“ Und lebenslang praktizierte er jene unmögliche Vollkommenheit.
Andererseits meinten und meinen in der Weltgeschichte viele Staatsmänner den Krieg und zwischendurch reden sie dabei halbwegs von Frieden. Und mit Erfolg schaffen sie es: Ein Völkergemetzel! Ja, sie sind mächtig und können vieles zugrunde richten – nicht selten sich selbst!
Der Autor: Anant Kumar gehört zu den führenden indischstämmigen Schriftstellern in Deutschland. Kumar stammt aus Bihar und lebt heute in Kassel. Er veröffentlichte vielbeachtete Werke wie „Fremde Frau, fremder Mann“, „Zeru“ oder jüngst „Indien – eine Weltmacht! Mit inneren Schwächen“.

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