Website-Icon theinder.net

Auf des Messers Schneide: Indien und der Irak-Krieg

(kjo) Indiens zurückhaltende Ablehnung eines Irak-Krieges enthüllt den Konflikt zwischen traditioneller Außenpolitik und dem konservativen Paradigmenwechsel.
Die hiesigen Medien werden gegenwärtig dominiert von der Diskussion über den deutschen Standpunkt zum Irak-Krieg. Mediales Schweigen ist jedoch zu vernehmen, was die Haltung der weltgrößten Demokratie in dieser Sache betrifft.
Indien — dem Eigenverständnis nach aufstrebende Welt- oder zumindest Regionalmacht — hat nicht viel zu melden im Chor derer, die das Schicksal über Krieg und Frieden am Golf fällen, denn es ist weder ökonomisch einflussreich genug, noch ist es gegenwärtig im machtschwangersten Gremium der Vereinten Nationen, dem UN-Sicherheitsrat, vertreten.
Der südasiatische Gigant trottet folgerichtig behutsam im Fahrwasser einflussreicherer Staaten wie Russland, Frankreich und Deutschland und deutet offiziell eine Ablehnung gegen einen US-Alleingang an. Der Irak müsse den UN-Forderungen nach Verzicht auf Massenvernichtungswaffen nachkommen und die UN Resolution 1441 erfüllen. Einen Schlag gegen den Irak ohne UN-Mandat lehnt Indien ab. Und wie schon im Golf-Krieg 1991 will das Land den USA keine militärischen Stützpunkte bereitstellen. Die gemeinsamen Manöver der US- und der indischen Marine im arabischen Meer sollen aber davon unbeeinträchtigt fortgesetzt werden.

Krux der Geschichte

Und hier deutet sich auch schon die Crux der Geschichte an: Denn Indien hat auf der einen Seite in seiner Außenpolitik insbesondere nach dem 11.September einen eklatanten Paradigmenwechsel vorgenommen, der die Abkehr von früher so geschätzten Grundsätzen wie Blockfreiheit, Multilateralismus und UN-Handlungssouveränität bei internationalen Konflikten hin zu einer engeren Anbindung an US-Positionen bedeutete. Auf der anderen Seite unterhält es jedoch traditionell gute Beziehungen zu Saddam Husseins Regime und ist der größte Bezieher von irakischem Öl.

Enge Beziehungen

Indien hat sich seit dem Ende des 91er Golf-Kriegs für eine Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak ausgesprochen und das Land seither sowohl humanitär, als auch technisch innerhalb der von den UN-Richtlinien aufgezeigten Grenzen unterstützt. Verträge über Rohölförderung durch indische Firmen wie die ONGC Videsh Ltd. im irakischen Tuba-Ölfeld über 63 Millionen US-Dollar letztes Jahr verdichteten die ökonomische Bande zwischen dem Subkontinent und dem Golf-Staat. 
Im Falle eines US-Angriffs soll zwar nach Aussagen des indischen Petroleum-Ministers Ram Naik die Ölversorgung durch Tanks und anderweitige Bezugsquellen für mindestens zwei Monate gesichert sein, jedoch wären die Folgen eines weltweiten Ölpreisanstiegs für die indische Wirtschaft ein Schock.
Auf politischer Ebene findet Indien in Saddam Hussein einen der wenigen Unterstützer seiner Kashmir-Politik.
Auf Grundlage dieser irakfreundlichen indischen Politik hat das arabische Land den treuen Freund unlängst aufgefordert, eine aktivere Rolle bei den UN-Inspektionsarbeiten und ihrer Überwachung zu übernehmen, um deren gerechten und unparteiischen Ablauf zu gewährleisten.

Keine Berechtigung für Krieg

Indiens Premier Atal Bihari Vajpayee bekundete, dass kein Land der Welt das Recht habe, einem anderen Land Entscheidungen aufzuzwängen; und Innenminister Lal Krishna Advani stellte Anfang Februar fest, dass es große Gemeinsamkeiten zwischen der indischen und der deutsch-französisch-russischen Sichtweise gebe: Die UN-Charta dürfe auf keinen Fall übergangen werden und eine diplomatische Lösung des Irak-Konfliktes habe — selbst wenn der Irak bewiesenermaßen über Massenvernichtungswaffen verfügen sollte — auf alle Fälle Priorität.
Nicht zuletzt in Anbetracht des großen muslimischen Bevölkerungsanteils in Indien (Indien beherbergt die zweitgrößte Anzahl an Muslimen auf der Welt) und der generell amerikakritischen Haltung in der Bevölkerung ist diese Einstellung folgerichtig. Ein Irak-Krieg mit Kreuzzugcharakter ist von Indiens Seite sowieso abzulehnen. Aber auch für das Argument, der Irak unterstütze die Al-Qaida und biete islamistischen Terroristen Unterschlupf sieht Indien ob des sekulären und antifundamentalistischen Charakters des Irak-Regimes keinen Anhaltspunkt.

Konservativer Schulterschluss

Doch Indiens Ablehnung zum Krieg könnte spätestens bei dessen Eintreten auf des Messers Schneide stehen. Denn seit dem 11.September 2001 sehen die konservativen Streiter der Regierungspartei BJP (Bharatiya Janata Party, Indische Volkspartei) Indien als Mitstreiter der USA im internationalen Kampf gegen den Terror an. Ihrer Meinung nach sind das terrorgeschundene Indien und die USA natürliche Verbündete. Sowohl auf Grundlage ihrer politischen Systeme (sie sind die beiden größten Demokratien der Welt), als auch auf Basis des gemeinsamen Schicksals als Opfer islamistischen Terrors.
Indien sah nach seinem spontanen Beitritt zur Anti-Terror Koalition die Chance, sich weltpolitisch aufzuwerten und den Erzrivalen Pakistan politisch zu isolieren, indem es auf US-Verständnis und Unterstützung für das harte Vorgehen gegen vom islamischen Bruderstaat unterstützte kaschmirische Separatisten (in Indiens Augen Terroristen) hoffte. Diese strategische Allianz ging einher mit der indischen Unterstützung für diverse global kritisch beäugte US-Vorhaben, wie die Ablehnung des weltweiten Landminen-Banns und eines internationalen Strafgerichtshofs. Auch für das amerikanische Weltraum-Raketen-Schutzschildprogramms, welches zuvor ein viertel Jahrhundert lang vehement abgelehnt wurde, konnte sich Indien plötzlich begeistern.
Der Grundstein für diese pro-amerikanischen konservativen Schulterschluss wurde freilich bereits mit dem Wahlsieg der rechten BJP 1998 gelegt. Diese hatte sich zunächst mit ihren Atom-Tests bei den USA unbeliebt gemacht (die deswegen verhängten Sanktionen wurden mit Indiens Eintritt in die Anti-Terror Koalition aufgehoben), zielte aber alsbald auf eine pro-amerikanische Politik ab: Der indische Markt wurde stark liberalisiert und eine Abkehr von der landeshoheitlichen Wirtschaftspolitik hin zu einer globalisierungsfreundlicheren findet bis heute statt.

Polarisierung der Positionen

Diese US-Affinität sollte jedoch nicht den gewünschten Widerhall finden. Zunächst einmal setzten die Vereinigten Staaten primär auf das terrorunterstützende Pakistan als Bundesgenossen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Und als letztes Jahr hunderttausende indische Soldaten an der Grenze zu Pakistan aufmarschierten, wurde dies von den USA zwar nicht verurteilt, auf eine Unterstützung durch den vermeintlichen neuen Verbündeten konnte Indien allerdings auch nicht setzen.
So führt denn der Irak-Konflikt und die Frage nach Indiens Haltung zu einer Polarisierung der Positionen: Die außenpolitischen Traditionalisten lehnen einen Krieg ob des völkerrechtswidrigen Charakters und auf Indiens Souveränität erpicht ab; die konservative Pro-US-Lobby sieht mehr Vorteile für Indien, wenn es eine aktive Unterstützung für die USA hervorkehrt und somit seine positive Haltung gegenüber der ‚Präventivschlag‘-Politik zum Ausdruck bringt. Und dies sicher nicht zuletzt auch mit Blick auf den Kashmir-Konflikt und die Option, gegen Pakistan ‚präventiv‘ vorzugehen.
Grafik: (c) Kristian Joshi
Die mobile Version verlassen