(von Selina Nayyar) Vom 17. bis zum 26. Januar dieses Jahres fand in Berlin die internationale „Grüne Woche“ statt. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde unter anderem über die agrarwirtschaftliche Lage Indiens diskutiert, wobei es vor allem um die indische Milchwirtschaft ging.
Diese hat eine einzigartige Entwicklungsgeschichte vorzuweisen, die sich hinter dem Namen „weisse Revolution“ verbirgt. Zwischen 1947 und 1970 wuchs in Indien die Milchproduktion nur um 1% jedes Jahr, seit den frühen 70er Jahren aber stieg sie auf ca. 4,5 % pro Jahr an. Ein positives Ergebnis des „Operation Flood“ Programms, das in Zusammenarbeit des indischen NDDB (National Diary Development Board), FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) , der Weltbank und der EU aufgestellt wurde. Durch gezielte finanzielle Unterstützung seitens dieser Organisationen vor allem aber der EU konnte in Indien eine effiziente Milchwirtschaft aufgebaut werden. Die Milcherzeugergenossenschaften wurden ausgeweitet, so dass mittlerweile 6000 davon existieren. Auch wurden Molkereien und Milcherfassungsstrukturen landesweit eingerichtet um eine bessere Vermarktung der Produkte zu ermöglichen. 70 Millionen indische Milchbauern sind derzeit von diesem Wirtschaftszweig abhängig.
Die meisten Milchlieferanten Indiens sind Haushalte unter drei Milchkühen, 2/3 davon sind Bauern ohne eigenen Landbesitz. Solche Bauern beliefern z.B. in Gujarat einen von Indiens größten Milchverarbeitungskonzern „Amul“. Tatsächlich werden 28% der Milch in ländlichen Gegenden produziert. Das „Operation Flood“ Programm zielt nämlich darauf ab, die Armut vor allem in der ländlichen Bevölkerung einzuschränken, durch die Möglichkeit ihre Milch an Verarbeitungskonzerne zu verkaufen. Durch dieses Programm konnte die Milchproduktion Indiens bereits bis zu 78 Millionen Tonnen pro Jahr gesteigert werden. Damit ist Indien seit 1997 der weltweit größte Milchproduzent und hat sogar den ehemaligen Spitzenreiter USA abgelöst! Natürlich hat Indien damit 100 % Selbstversorgungsgrad, könnte sogar seine Milchexporte auf Europa und andere Länder ausweiten. Momentan wird indische Milch bzw. Milchprodukte nämlich vorwiegend nach Bangladesch, China, Singapur, Japan, Thailand, Malaysia, UAE und andere umliegende Länder exportiert. 46 % der produzierten Milch wird in Indien in flüssiger Form, sprich als normale Milch konsumiert. 47 % werden in traditionelle Produkte wie Ghee, Paneer, Khoya, Malai usw. verarbeitet. Nur 7% dienen zur Produktion westlicher Produkte wie Butter, Käse, Milchpulver usw. Doch vor allem das Milchpulver macht den Indern jetzt zu schaffen. Denn der Erfolgskurs der indischen Milchwirtschaft neigt sich langsam seinem Ende zu. Die EU als einstiger Unterstützer wird nun zum Konkurrenten.
Seit Indien 1995 den Forderungen und dem Druck der WTO und des IWF nachgekommen ist, Schutzmaßnahmen wie Importbeschränkungen und Schutzzölle aufzuheben, ist der indische Markt vor ausländischen Importen nicht mehr sicher. Somit können auch die EU und andere Industrieländer, die ca. 95% der Weltmilchmärkte versorgen, ihre Milch und Milchprodukte nach Indien exportieren. Man müsste meinen, dies sei kein Problem für den indischen Binnenmarkt, aber dem ist nicht so. Tatsächlich ist die Milch in Indien nicht gerade billig und auch Milchprodukte sind eher Luxus, so dass der Milchverbrauch pro Person, pro Tag in Indien nur ca. 212 g beträgt, was weit unter dem weltweiten Durchschnitt von 285 g liegt, es muss allerdings beachtet werden, dass sich die Pro- Kopfversorgung der indischen Bevölkerung mit Milch während dem Projektzeitraum des „Operation Flood“ verdoppelte. Während also die Importe von z.B. Magermilchpulver und Butteröl seitens der EU nur 282 Tonnen im Jahre 1995 betrug, waren es 1999/ 2000 bereits 18.000 Tonnen! Diese EU- Produkte sind durch Milchsubventionen allerdings so billig geworden, dass sie die indischen Preise unterbieten. Das „Operation Flood“ Programm wurde 1996 abgeschlossen, die indische Milchwirtschaft steht seitdem auf eigenen Füßen, womit sich allerdings Probleme ergeben.
Eine Analyse des EED (Evangelischer Entwicklungsdienst) stellt fest: „Die Überschüsse der Europäischen Union an Milch und Milchprodukten sind nicht beseitigt, 2000 betrug der Selbstversorgungsgrad der EU 108%. Noch immer beseitigt die EU trotz zweier grundlegender Reformen ihrer Agrarpolitik, einer Mengenbegrenzungspolitik durch die Quotenregelung und trotz der WTO- Abbauverpflichtungen große Mengen an Käse, Milchpulver und Butter auf Drittlandsmärkten. Die Überschussbeseitigung mit Hilfe von Exportsubventionen und Direktbeihilfen für die europäischen Bauern bei gleichzeitiger Erzeugerpreissenkungen in der EU drückt die Weltmarkpreise für Milchprodukte weit unter den Entstehungskosten weltweit und untergräbt die Milchproduktion der Importstaaten.“ (entnommen aus Zeit-Fragen Nr. 36)
Auf dem indischen Milchmarkt zeigt diese EU-Politik bereits ihre Auswirkungen. Der indische Inlandspreis ist in den vergangenen zwei Jahren schon um 15% gefallen. Und auch die ersten indischen Molkereien mussten schon schließen, weil für ihre Produkte kein Absatzmarkt mehr vorhanden ist. So ging z. B. „Amrut Industries“, die einmal zu den führenden Molkereien des Landes gehörte, bereits bankrott. Dagegen konnte die EU 1999 / 2000 417. 000 Tonnen subventioniertes Magermilchpulver exportieren. Die WTO- Obergrenze wurde dabei zwar um 146,5 % überschritten, Konsequenzen hatte das allerdings keine. Um den einheimischen Markt vor diesen Dumping- Preisen zu schützen hat die indische Regierung den Importzoll auf die Milchpulverprodukte die 10 000 MT übersteigen, von 15% auf 60% angehoben. Für Importe die unter diese Gewichtsmenge fallen blieb der Zoll jedoch bei 15% bestehen. Die Möglichkeiten auf Schutz- und Antidumpingzölle zurückzugreifen sind nämlich durch WTO- Regelungen die sogenannten „Friedensklausel“ und „Schutzklausel gegen Importflut“ eingeschränkt. Die indische Milchwirtschaft verlangt daher eine Senkung der Exportsubventionen bei allen Milchprodukten sowie die Stärkung ihrer Schutzrechte gegen unfaire Importe, ansonsten sehen sich Millionen Kleinbauern in ihrer Existenz bedroht und auch das eigentliche Ziel des „Operation Flood“ Programms, Indien zu einer selbstständigen Milchwirtschaft zu verhelfen, wäre damit zunichte.
Die Agrarverhandlungen dazu sind gerade in Gange, bisher haben die WTO- Verträge allerdings die Dritte-Welt- Länder meist nur benachteiligt.
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