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1857: Der Sepoy-Aufstand

(von Mateen Memon) Nicht nur in Europa und Deutschland (Märzrevolution) spielen die Jahre um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine bedeutende Rolle. Auch im Zusammenhang mit der indischen Unabhängigkeit wird das Jahr 1857 und die sog. „Sepoy-Revolte“ immer häufiger genannt.

Die ständig wachsende Unzufriedenheit der indischen – allen voran der bengalischen – Armee über den Zustand innerhalb der eigenen Truppe, die hauptsächlich aus Brahmanen und Angehörigen anderer hoher Kasten bestand, ist als einer der Hauptfaktoren ursächlich für den Konflikt dieses Jahres anzusehen. Die verstärkte Missionsarbeit der christlich-britischen Missionare, die geplante Abschaffung des hinduistischen Kastensystems und die Gefahr der gewaltsamen Konvertierung durch die Briten symbolisierten in den Augen der Sepoys (=indische Armeeangehörige) einen direkten Angriff auf ihre religiösen Institutionen. Schließlich ist die Einführung neuer Patronen für das in der indischen Armee damals benutzte „Enfield-Gewehr“ als weitere Ursache der Revolte anzusehen. Jene neuen Patronen mussten vor dem Laden ab- bzw. angebissen werden und waren – um den Ladevorgang zu beschleunigen – entsprechend eingefettet. Das dazu benutzte Fett bestand jedoch aus einer Mischung aus Rinder- und Schweinefett, so dass sowohl den hinduistischen als auch den moslemischen Soldaten der Gebrauch dieser Patronen aus religiösen Gründen verboten war. Eine solche Ignoranz und Respektlosigkeit gegenüber den indischen Truppen war skandalös. Zwar wurden die Patronen später durch neue – mit Pflanzenfett gefettete Patronen – ersetzt, der bereits entstandene Schaden konnte jedoch nicht wiedergutgemacht werden.

Die Sepoys nutzten ihre zahlenübermäßige Überlegenheit – das Verhältnis britischer zu indischen Soldaten lag zwischen 1:6 und 1:10 – aus und revoltierten in Meerut, Delhi, Kanpur und Lucknow. Nach kurzer Zeit rebellierte der gesamte Norden mitsamt der Zivilbevölkerung gegen die britische Herrschaft. Durch die Mithilfe indischen Kollaborateure und die waffentechnische Überlegenheit der Briten wurde der Aufstand nach schweren Kämpfen und Belagerungen gewaltsam niedergeschlagen, so dass im Jahre 1859 ganz Indien wieder unter britischer Kontrolle war.

Die Revolte dieser Jahre führte zu drastischen Veränderungen in der britischen Indienpolitik:

  • Auflösung der British East India Company, die bis dato alle Amtsgeschäfte der Briten tätigte
  • Einführung eines eigenen Indien-Ministeriums, so dass Indien direkt der britischen Regierung unterstellt war
  • Einführung der „Teile-und-regiere“-Politik, die durch den Einsatz von Minderheiten zur Kontrolle und Verwaltung der Mehrheit die innere Einheit Indiens zerstörte
  • Aufstockung der britischen Teile der Armee
  • Distanzierung von der indischen Bevölkerung und gesteigertes Gewaltpotential der Briten

Besonders die „Teile-und-regiere“-Politik hat einen weiteren irreparablen Schaden innerhalb Indiens Bevölkerung hinterlassen. Hier liegt der Ursprung der religiösen und ethnischen Konflikte des Subkontinents, die bis zum heutigen Tag (Ayodhya 1991, Gujarat 2002) enorme Auswirkungen haben. Während der Rebellion haben Hindus und Muslime einhellig Seite an Seite für ihre jeweiligen religiösen Überzeugungen gekämpft und ein Beispiel für nationales Denken und Handeln unabhängig religiöser Ausrichtungen gezeigt: Die provisorischen Verwaltungen waren jeweils zu gleichen Teilen mit Hindus und Muslimen besetzt, Gesetzte und Proklamationen wurden sowohl in Hindi als auch in Urdu abgefasst, verlesen und veröffentlicht. Handel und Regierungs- bzw. Verwaltungspositionen waren ausschließlich Indern vorbehalten etc. .

In der nationalistischen Unabhängigkeitsliteratur Indiens ist die Revolte der Sepoys von 1857 vor allem als „erster Unabhängigkeitskrieg“ bekannt und hat als erster Schritt in Richtung Unabhängigkeit, als erstes gewaltsames Aufbäumen gegen die britischen Kolonialherren besonderes Gewicht.

Auch wenn es sich objektiv gesehen um keinen wahren Unabhängigkeitskrieg handelte, da sich z.B. nur die betroffenen Städte und Regionen beteiligten und sämtliche Aktionen eher unkoordiniert bzw. spontan verliefen, gilt es nun den nationalen und vereinenden Gedanken jener Tage aufzunehmen und wieder zu einem gemeinsamen, auf Toleranz und Respekt basierenden Weg zurückzukehren, um so den größten Schaden, den die britischen Kolonialisten Indien zufügten, endlich zu reparieren und unserem Land den Frieden zu geben, den es verdient: SHANTI !

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