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So, 22. Dezember, 2024
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Yesudas: "Sprachen, Religionen und Rassen sollten keine Hindernisse, sondern vielmehr Herausforderungen an uns sein"

Foto: (c) Ingo Heinsch

Von Vineet Pillai. Köln. Am 15. November 2003 gab sich einer der bekanntesten indischen Musiker der Gegenwart in Köln die Ehre. Dr. Kattassery Joseph Yesudas, besser bekannt als ‚Yesudas‘, Halter des Padmabhushan Awards und weltweit als „King of Carnatic Music“ gefeiert, stand uns im Vorfeld seines Gesangskonzertes in einem Exklusivinterview gegenüber.

Wer dieses Interview liest, wird merken, dass Yesudas zu Recht ein Botschafter des Friedens ist und eine Haltung der Toleranz verkörpert, die man in der heutigen Zeit vergeblich sucht. Sein noch am selben Abend präsentiertes Konzert im Rahmen des „Soorya India Festival 2003“ im Schulzentrum Köln-Ostheim war zugleich Auftakt seiner großen Tournee und beinhaltete neben klassischen gar auch moderne Stücke, die vom Publikum mit stehenden Ovationen gefeiert wurden.
Wie gefällt Ihnen Deutschland, sind Sie zum ersten Mal hier?
Ich bin seit den siebziger Jahren schon oft hier gewesen. Ich schätze dieses Land sehr. Nicht nur wegen seines Interesses an der indischen Kultur und insbesondere der klassischen Musik, sondern auch aufgrund seiner Geschichte. Deutschland ist reich an dieser, berühmt für seine Wissenschaft, seine Technik und für seine Denker. Mit Goethe, Schopenhauer und Schlegel seien nur einige genannt. Sie alle bauen eine Brücke zur Welt. Gerade auch in den Sprachen zeigt sich eine wichtige Verbindung, da es eine nahe Verwandtschaft des Deutschen, als indogermanischer Sprache, zum Sanskrit gibt. Wir wissen auch, dass deutsche Persönlichkeiten, wie Schlegel, Max Müller und Herman Gundert, bedeutend zu Forschung und Fortschritt der Kultur von Wort und Schrift beigetragen haben.
Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Indern in Deutschland und Indern in Indien?
Mir scheint, dass die Inder im Ausland, auch hier, aufgeschlossener und moderner sind als in Indien selbst. Losgelöst von seinem Land, kann man, auch bedingt durch andere Möglichkeiten, mehr über sich und vielleicht auch über seine Heimat erfahren. Den Geist schweifen zu lassen ist ein Geschenk für den Menschen. Ein großer Luxus. Es gibt nicht jene Unterschiede zwischen der westlichen und der östlichen Welt, sondern vielmehr überall eine spirituelle und materialistische Welt. Unsere Aufgabe ist es, ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden zu erreichen. Uns muss bewusst sein, dass Hingabe zur blinden Folgschaft und leerer ritueller Pflichterfüllung, egal ob religiös oder politisch, zu großen Gefahren für unsere Menschheit führt. Ich stelle bestürzt fest, dass Hass, Intoleranz und Ausschreitungen, im Namen der Religion, leider auch in Indien vermehrt fruchtbaren Boden finden. Auch in Kerala, wo uns dieses Verhalten bisher fremd gewesen war, ist heute vielerorts das harmonische Verhältnis zwischen Anhängern unterschiedlicher Glaubensrichtungen gestört.
Menschen, die angeblich im Namen Gottes handeln, haben in Wahrheit nichts mit Religiosität oder Spiritualität gemein. Ich denke, dass die wahren spirituellen Menschen keine Unterschiede zwischen Religionen kennen. Sie leben ihre Spiritualität. Liebe zu geben und zu bekommen ist, so wie mir es scheint, ein richtiger Weg. Vielleicht die Möglichkeit für uns an dem komplexen Geschenk teilhaben zu können, welches uns Gott durch seine Schöpfung macht, und es zu verstehen. Sprachen, Religionen und Rassen sollten keine Hindernisse, sondern vielmehr Herausforderungen an uns sein.
Religion ist besonders heutzutage ein besonderes Diskussionsthema geworden.
Gerade heute wird deutlich, dass die Religion eine neue Schlüsselposition in unserer Gesellschaft einnimmt. Sie wird zum Marketingobjekt und Konsumprodukt degradiert. Sichtbar ist dies auch in Indien und das insbesondere in der Politik.
Wie sieht es mit der breiten Masse aus?
Viele Inder haben ihre Identität vergessen und welchen wirklichen Reichtum wir als Inder besitzen. Die Kultur des Hinduismus, in ihrer ursprünglichen Form, ist keine Religion, sondern viel mehr eine Lebensphilosophie. Eine uralte Sammlung von den Weisheiten vieler Generationen von Rishis, welche jedem von uns helfen kann. Wir alle sollten uns dem öffnen und es annehmen.

„Die Kultur des Hinduismus, in ihrer ursprünglichen Form,
ist keine Religion, sondern viel mehr eine Lebensphilosophie“,
sagt Yesudas. Foto: (c) Ingo Heinsch

Zurück zur Musik. Wann haben Sie mit der Musik angefangen?

Ich fing mit 5 Jahren an mich wirklich bewusst mit Musik zu beschäftigen. Ich lerne seitdem und glaube bis heute nicht ausgelernt zu haben. Mein Vater, Augustine Joseph Bagavathor, war mein erster Guru. Ich respektiere ihn als Lehrer und Menschen sehr. Damals, in meiner Kindheit, war es besonders schwer für einen Nicht-Hindu klassische indische, respektive karnatische Musik, zu erlernen. Sie wurde damals vordergründig nur den Angehörigen einzelner, privilegierter Kasten zuteil.
Allein durch die Anstrengungen meines Vaters und die strenge Schule meiner Gurus, habe ich viel Kraft bekommen und nie den Mut verloren. Ich habe gelernt, dass Musik und die Liebe zu ihr, das Wichtigste ist und bin so immer weiter gekommen in meinem Leben.
Wer oder was hat Sie am meisten inspiriert?
Auch dies ist mein Vater für mich. Jedoch auch all meine weiteren Gurus. Sie alle trage ich in meinem Herzen. Ich bete zu ihnen vor jedem meiner Auftritte und bitte um ihren Segen. Besonders dankbar bin ich meinen Mentoren Chembai Vaydhyanatha Bhagavathor, Bala Muralikrishna Bhagavathor und Semmankudi Srinivasa Bhagavathor. Gerade Semmankudi Srinivasa Bhagavathor war der Meister der karnatischen Musik. Ich werde die Zeit, als ich sein Schüler gewesen bin, nie vergessen können.
Wahrscheinlich gibt es keinen anderen Guru in der Welt der Musik, der so viele Schüler gehabt hat wie Swamy Semmankudi! Seine Auftritte wurden besucht von Menschen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten. Ich bin überzeugt, dass ganz Kerala weiß, wie wichtig seine Rolle gewesen ist, um die Kompositionen von Maharaja Swathi Tirunal allgemeinverständlich zu machen.
Dennoch: neben allem steht Gott als mein zentraler Bezugspunkt im Leben. Ein Gott, der weder wirklich geboren noch bisher gestorben ist. Respekt erweisen sollten wir den vielen Gesichtern, egal ob im Judentum, Christentum, Hinduismus oder im Islam, denn Gott – die göttliche Kraft – ist immer die Selbe. Ich glaube fest an den ultimativen Gott, der keine Unterschiede zwischen Religionen macht. Shri Narayana Guru sagte: „One caste, one religion and one God for all humans.“
Sie sind momentan auf Tournee. Wo sind Sie schon überall aufgetreten?
Diese Soorya Tharangni Tour 2003 fängt tatsächlich am 15. November in Köln an! Die nächsten Etappen werden in Europa: Rom, Wien, London, Zürich, dann in Saudi Arabien und den Emiraten: Dubai, Abu Dhabi, Kuwait und am 5. Dezember in Bahrain sein. Anschließend geben wir Konzerte, vom 9. bis zum 30. Dezember in Chennai.
Was versprechen sie sich von dem Auftritt in Köln?
Was mir besonders am Herzen liegt ist, dass mein Publikum wahre Freude an der Musik empfinden kann. Ich nehme an, dass die Meisten sicherlich mehr von der populären Musik, als von der Klassik, angetan sein werden. Um auch sie zufrieden zu stellen, habe ich mir vorgenommen, heute ebenfalls einige semiklassische Stücke darzubieten. Dominieren werden jedoch sicherlich klassische Stücke. Viele Menschen haben Hemmungen, frei an die Tradition des Karnatischen heranzutreten. Angst, weil sie sich noch nicht auskennen und nicht immer alles verstehen. Unwissenheit kann nie größer sein, als das Interesse, denn jeder Schritt kann ein Anfang sein. Ich glaube fest daran, dass erst, wenn man sich auf die Musik einlässt, man sie ganz sicher genießt und sie einen tief im Herzen berührt.
Eben diese Erfahrung habe ich übrigens in den UAE machen können. Dort habe ich arabische Lieder im Karnatischen Stil aufgeführt, und wir hatten eine besonders gute und große Resonanz bekommen.

„Mein Guru und stets einer meiner größten
Idole ist Mohammed Rafi“, sagt Yesudas ehrfürchtig.
Foto: (c) Ingo Heinsch

Wird das Einfluss auf die heutige Vorstellung haben?

Auch heute werden wir ein Stück auf Arabisch präsentieren. Es ist ein Lied, vielleicht auch mehr ein Gebet, welches im Islam als heilig angesehen wird. Die Geschichte sagt, dass als Nabi Al Malahim, also Mohammad, nach seiner Askese zurück aus der Wüste kam, diese Zeilen zitierte. „Salatullah … Salamullah … ala Taha Rasoolullah“. Aus Respekt zu der Kultur, und mit der Hingabe zur Musik, habe ich diese Worte damals zum ersten Mal gesungen, den Moslems und insbesondere auch den indischstämmigen Menschen in Arabien gewidmet. Die Freude und Anerkennung war enorm groß. Es war ein wirklich schönes Gefühl für mich. Dieses habe ich auch in Hindi getan. Carnatic und Hindustani, die zwei großen Richtungen der klassisch indischen Musik, miteinander zu verbinden. Ich wollte Indiens Kultur und Musik an den Rest der Welt herantragen. Ich verbinde Hindustani und den Carnatic Stil, mit all seiner eigenen Vielfalt. Ich wollte nicht nur allein an die Karnatische Musik gebunden sein und habe deswegen auch Hindustani erlernt. Mein Guru und stets einer meiner größten Idole ist Mohammed Rafi.
Wenn man mal Ihre Rolle abseits des Singens betrachtet, welche Rolle nehmen Sie innerhalb der Musikindustrie ein?
Ich bzw. wir produzieren auch Musik. Es existiert seit 1970 ein eigenes Label, namens Tharangni Records. Das erste Tharangni Studio befindet sich in Trivandrum, weitere sind in Chennai, Mumbai, Bangalore, Kochi und Delhi.
Ich weiss, dass die Jugendförderung Ihnen auch am Herzen liegt.
Das stimmt, denn ein besonders Anliegen ist es für uns junge Menschen zu unterstützen, ihr Talent zu entdecken, sie zu fördern und ihnen neue Möglichkeiten zu eröffnen. Genau dazu haben wir das Projekt „Nithya Vasanthana Gandarva Sangeetham“ in die Welt gerufen. Es ist eine Zusammenarbeit von Tharangni, Doordarshan und Kairali TV.
Was möchten Sie eben dieser jungen Generation von Sängerinnen und Sängern in Indien und Deutschland als Rat mit auf den Weg geben?
Tägliche Übung und die Hingabe sind unbedingt notwendig. Man muss das Bewusstsein entwickeln, das man niemals genug erlernt haben kann, niemals auslernen kann. Denn die Musik ist wie ein Ozean. Sie ist unerschöpflich. Namaskaram.
Ich danke Ihnen für dieses interessante Gespräch.

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