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Lal „Mritak“ Bihari: lange tot und doch wieder auferstanden

Du willst das dir rechtmäßige Land zurück, weil du tot bist, aber eigentlich noch lebst? Dann wird es Zeit, der Liga der toten Herrschaften „Mritak Sangh“ beizutreten. Nein, liebe Leserinnen und Leser, das ist kein Scherz, gleich mehr dazu. Doch zunächst – wie journalistisch üblich (meistens jedenfalls) – die Fakten. Liebe Kritiker, zügeln Sie Ihre Emotionen.

Seit 1991 werden alljährlich an der renommierten Harvard University in Boston/USA die alternativen Nobelpreise, auch Ig-Nobelpreise (ig = ignoble = unedel) genannt, verliehen. Ganz anders als sein konventionelles Gegenstück aus Stockholm und Oslo, handelt es sich dabei um einen Preis, der für belanglose wissenschaftliche Leistungen steht, die nicht wiederholt werden können und vielmehr nicht wiederholt werden sollten. Das Auswahlkomitee ist auch kein königliches, sondern seines Zeichens die „Annalen der fragwürdigen Forschung“ (Annals of Improbable Research = AIR).
Und so gingen auch in diesem Jahr die Preise an Menschen mit skurrilen Ideen. Der Ig-Nobelpreis für Ingenieurswissenschaften wurde Recherchen zu den Hintergründen von „Murphys Gesetz“ („Alles was schief gehen kann, geht auch schief“) gewidmet, während der Physikpreis für Studien zur Optimierung des Scherens von Schafen vergeben wurde. Eine Lektüre, die hunderte von elementaren Analysen wie etwa „Wieviele Jugendliche tragen ihre Baseballkappe nach hinten?“ oder „Wieviel Prozent Kunden hat mehr Artikel in seinem Einkaufswagen als an der Schnellkasse erlaubt sind?“ war dem Auswahlkomitee der Literaturpreis wert, unterdessen leisteten Wissenschaftler wichtige Beiträge zum Geschlechterkampf bei Entenküken und wurden dafür mit dem Ig-Nobelpreis für interdisziplinäre Forschung geehrt. Die Untersuchung der Affinität von Kunstgegenständen auf Tiere, sprich „Stimmt die Chemie zwischen Kultur und Kulturfolger?“ bedeutete den Chemiepreis, der Psychologiepreis ging an Forscher für die Untersuchung von Mimik, Gestik und Verhalten von Politikern, der Wirtschaftspreis an ein Vermarktungskonzept für Liechtenstein. Im Bereich Medizin darf sich ein Wissenschaftler über die Auszeichnung für Hirnstudien an Londoner Taxifahrern freuen. Den Vogel schoss aber buchstäblich ein Holländer ab, der sich mit folgendem Thema beschäftigte: „Homosexuelle Nekrophilie bei Stockenten“. Das lasse an dieser Stelle so stehen, diese Bilder müssen erstmal weg aus meinem Kopf.
Unschlagbar: von 1975-1994 tot und dann wieder auferstanden. Für diese Skurrilität sorgte ein Inder – um zurück zur Anfangsfrage dieses Artikels zu kommen, nämlich Lal Bihari, genannt „Mritak“, was soviel wie „der Tote“ bedeutet. Er, ein Bauer aus Uttar Pradesh, wollte 1976 bei einer indischen Bank ein Darlehen aufnehmen, doch wurde ihm dieser verweigert, weil man ihm sagte, dass er offiziell tot sei. Was Lal Bihari nicht wusste, war, dass seine Verwandten ihn damals für offiziell tot erklären ließen, um so an seinen Landbesitz zu kommen – in Indien übrigens kein Einzelfall. Da der Inder aber nach eigenen Aussagen „nicht an Gespenster glaube, schon gar nicht an mein eigenes“, begann er den Kampf gegen die Bürokratie mit dem Ziel endlich wieder zu den Lebenden zu gehören. „Dead Man Alive“ titelten indische Zeitungen bereits.
Seine Methoden, um Aufsehen zu erregen, waren bizarr. Als er zunächst von den Behörden als lästig abgewiesen und zusammengeschlagen wurde (indische Konsequenz), ließ er sich verhaften (auch indische Konsequenz, der Mahatma hat’s vorgemacht), beantragte Witwenrente für seine Ehefrau (wohlgemerkt ER beantragte), entführte den Sohn seines Onkels, ging erfolglos in die Politik für Rajiv Gandhi (darauf muss man erstmal kommen) und veröffentlichte Schriften en masse. Das Beste: er gründete 1999 „Mritak Sangh“, den „Verein für tote Menschen“, der die Rechte der noch lebenden Toten vertreten sollte. Vampire vermutlich ausgeschlossen.
Als die indischen Behörden merkten, dass dieser schräge Vogel es tatsächlich ernst meinte, erklärten sie Lal Bihari 1994 nach einer 18-jährigen Leidenszeit für lebendig. Vielleicht waren sie auch einfach nur genervt.
Der indische Filmemacher Satish Kaushik will diesem Kuriosum noch einen draufsetzen und diese Geschichte verfilmen. Vielleicht sollte man für die Hauptrolle des „Mritak“ Heiner Bremer oder den anderen Bihari, Atal, vorschlagen?
Für seinen posthumen Kampf als inoffiziell Lebender erhielt Atal, pardon, Lal Bihari in diesem Jahr schließlich den Ig-Nobelpreis für Frieden.
Sein Bauerndasein hat er nun aufgegeben und widmet sich fortan voll und ganz den Rechten der Toten im Kampf gegen Indiens Schreibtischhengste. Die Publicity ist ihm jedenfalls gewiss.
Leider konnte Lal Bihari diesen Preis nicht persönlich in Empfang nehmen, man verweigerte ihm das Visum und ich frage mich warum…
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