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2003 – (k)ein Blick zurück auf Desi-Deutschland

2003 war zweifelsohne das Jahr des Indien-Trends. Waren wir bis vor zwei oder drei Jahren nur eine Hand voll indischer Parties von Sandhikta, Whatyaar oder Soul of India – die Nostalgiker mögen sich erinnern – gewohnt, so mussten wir jüngst feststellen, dass nicht nur Parties, sondern auch neue Veranstalter wie Pilze aus dem Boden sprießen. Ein paar von denen waren nicht mehr als Eintagsfliegen, einige haben sich heute aber etabliert und ihre Nische besetzt. Und die Pioniere der Anfangszeit? Die sind nahezu alle in der Bedeutungslosigkeit versunken. Seit sechs Jahren freute man sich regelmäßig auf den November, der für gewöhnlich mit der „Indian Night“ in Frankfurt aufwarten sollte, mit der „Soul of India“ in Düsseldorf das bis dato derzeit letzte aktive Residuum des ursprünglichen Desiflairs. Doch „dieses Jahr gibt es keine Indian Night“, hieß es von offizieller Seite und löste unter treuen Anhängern Diskussionen aus. In den Foren munkelte man einerseits, die Macher hätten die Schlägereien aus dem Vorjahr satt oder andererseits einfach nur zuviel um die Ohren. Gerüchte. Daher wollen wir uns an dieser Stelle nicht weiter damit aufhalten.
 
Die einstigen Glanzlichter eines Jahres wurden nun abgelöst durch regelmäßig stattfindende Partyreihen, die das Zeitalter der Kommerzialisierung in der Desiszene einläuteten. Schließlich ist Indien im Trend und die Leute fahren drauf ab. Plötzlich sieht man den Europäer mit Bindi auf der Stirn oder Hennamustern auf den Händen durch die Gegend laufen und denkt sich: „Merkst du eigentlich nicht wie bescheuert du damit aussiehst?“ Aber der Konsument zahlt dafür. Aus Sicht eines Veranstalters also objektiv betrachtet dumm, nicht auf den Zug mit dem Lockruf des Geldes aufzuspringen. Es wäre vermessen zu behaupten eine Party würde grundsätzlich nicht aus kommerziellen Gründen veranstaltet, um frühere Veranstaltungen keineswegs in Schutz zu nehmen.
 
Nun, das Jahr 2003 beschenkte uns aber auch mit anspruchsvolleren Veranstaltungen. 
 
So das alljährliche Indienseminar in Bad Boll, fast schon wieder in Vergessenheit geraten, griff den Trend auf und stand in diesem Sommer im Zeichen von „Bad Bollywood“ und gab den Seminarteilnehmern einen Einblick in den indischen Film.
 
Im Bereich Unterhaltung durfte dabei auch die deutschlandweit erste „Miss India Germany“ Wahl im August in Frankfurt/Main nicht fehlen. Lavaanya Ambur hieß die Siegerin, die fortan nicht nur die indo-deutsche Jugend in den Medien, sondern auch in Übersee bei den globalen Entausscheidungen vertreten durfte.
 
Nicht nur die „Badewannen-Siriehs“ in den Katakomben Kölns, sondern insbesonders unzählige Veranstalter in der Bundeshauptstadt boten interessierten Menschen inner- und außerhalb Berlins eine enorme Bandbreite indienrelevanter Themen, sei es Kunst, Film oder Musik. Die „Asien-Pazifik-Wochen“ im Herbst ließen grüßen. Wer dort gefehlt hat, wird fortan länger auf solch ein Spektakel warten müssen.
 
Immer in Bewegung war auch Deutschlands Schriftsteller indischer Herkunft Anant Kumar. Er brachte sein neues Buch „Die uferlosen Geschichten“ heraus und las in unzähligen Städten dieses Landes. Wie sich sein vielversprechender Kollege Atze von Brauriehs entwickelt, seine Weihnachtslesung war zumindest ein voller Erfolg, wird das nächste Jahr zeigen. Eintagsfliege oder Dauerbrenner?
 
Wir aus der Redaktion sind gegen Ende des Jahres besonders im musikalischen Bereich stolz einige der ganz Großen der klassischen indischen Musik begegnet sein zu dürfen, wie etwa dem Meister der Querflöte Pandit Hariprasad Chaurasia, dem Sarodvirtuosen Abhishek Lahiri oder dem Gesangsmeister Yesudas, der in einem Interview in bezug auf die aktuelle weltweite politische Situation treffend sagte: „Sprachen, Religionen und Rassen sollten keine Hindernisse, sondern vielmehr Herausforderungen an uns sein.“
 
Doch noch einmal zurück zur inflationären Lage unserer bunten Desiszene. „Früher war es irgendwie besser, da waren die Parties nicht so anonym wie heute und vor allem etwas, worauf man sich ein ganzes Jahr lang freuen konnte“, erzählte mir eine Leserin vor einiger Zeit. Mittlerweile hat der Partygast die Qual der Wahl, er kann monatlich, ja vielleicht sogar wöchentlich nach Hamburg, Berlin, Leipzig, Köln, Stuttgart, Heidelberg oder München pilgern. Hat da gerade jemand „langweilig“ gesagt? Nun, aber wem’s gefällt? Reisende soll man ja bekanntlich nicht aufhalten. Wann die Reise jedoch zu Ende geht, bleibt abzuwarten. Ein Trend bleibt nunmal ein Trend, doch ein wenig von der Mentalität von vor drei oder vier Jahren täte uns allen wieder gut.

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