(von Bijon Chatterji) Mittlerweile lässt sich an einigen Orten Deutschlands das Studienfach Indologie studieren. Indologie ist dabei nicht gleich ausschließlich Indienwissenschaften gleichzusetzen, „sondern umfasst alle in Südasien versammelten Länder und Kulturen“, wie uns Prof. Dr. Axel Michaels in einem Interview erklärt. Prof. Michaels ist Leiter der Abteilung „Klassische Indologie“ am renommierten Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Wir befragten ihn zudem zum momentanen Indientrend, aber auch dazu, wie er damals die Faszination des Subkontinents entdeckte.
Herr Professor Michaels, Sie sind Leiter der Abteilung „Klassische Indologie“ an der Universität Heidelberg. In welchem Zusammenhang stehen die Abteilungen „Klassische Indologie, „Moderne Indologie“ und das Südasien-Institut?
Die beiden indologischen Abteilungen befassen sich mit den Sprachen und Literaturen Indiens, „Klassische Indologie“ mit den alten Sprachen, vornehmlich Sanskrit und Mittelindisch, „Moderne Indologie“ hauptsächlich mit Hindi, Bengali, Urdu und Tamil. Dabei ist die Klassische Indologie ebenso modern, wie die Moderne Indologie klassisch ist, denn es hängt vom Forschungsthema ab, ob die Sachverhalte bis in die Gegenwart oder Vergangenheit reichen. Die anderen Abteilungen am Südasien-Institut befassen sich mit der Ethnologie, Geschichte, Politik oder Wirtschaftswissenschaft Südasiens.
Bedeutet Indologie gleich „Indien“ oder fließen zwangsläufig Aspekte des gesamten indischen Subkontinents inkl. Pakistan, Bangladesh etc. mit hinein?
Indologie umfasst alle in Südasien versammelten Länder und Kulturen. Das Südasien-Institut forscht unter anderem auch in Bangla Desh, Nepal, Pakistan und Sri Lanka.
Angenommen Sie müssten um Studenten für das Fach Indologie werben. Welche Argumente sprechen dafür, heutzutage Indologie zu studieren, wie sieht es mit den Zukunftsperspektiven aus?
Mit dem Studium der Indologie lernt man, eine andere Kultur gründlich, d.h. in seiner historischen und sprachlichen Tiefe, zu verstehen. Dieses Wissen verhilft dazu, sich schnell auch in anderen Bereiche und Berufe einfühlen und einarbeiten zu können. Fast alle, die Indologie erfolgreich studiert und mit einem längeren Aufenthalt in Südasien verbunden haben, haben anschließend auch eine Beschäftigung gefunden, wenn auch nicht immer in einem indologischen Berufsfeld. Wichtig ist, dass das zweite Studienfach sorgfältig ausgewählt wird und ausreichend Praktika gemacht werden. Weltweit operierende Firmen schätzen, wenn Studierende Landeserfahrungen in Südasien gemacht haben.
Wie sieht es mit dem allgemeinen Interesse aus? Tendieren die Studierenden eher zu klassischer oder moderner Indologie?
Das wechselt nahezu jedes Jahr: Mal zieht die Klassische Indologie, mal die Moderne Indologie mehr Studierende an. Insgesamt verzeichnet die Klassische Indologie steigende Studierendenzahlen.
Womit beschäftigt sich Ihre Abteilung speziell?
Der Schwerpunkt meiner Abteilung (http://www.sai.uni-heidelberg.de/abt/IND/index.html) liegt neben einer soliden Ausbildung in den klassischen Sprachen (darunter eine jährliche Summer School in Spoken Sanskrit) auf ethno-indologischen Themen, d.h. der Verbindung von Texten und Kontexten bzw. Feldforschung. Regional sind wir in Nepal, Benares, Orissa und Südindien vertreten. Inhaltlich befassen wir uns überwiegend mit hinduistischen und buddhistischen Ritualen, z.B. Feste, lebenszyklischen Ritualen oder Tempelritualen.
Inwiefern tragen Ihre Forschungen zum Verständnis moderner Indologie bei bzw. wie profitiert unsere Gesellschaft davon?
Die westliche Gesellschaft hat grundsätzlich ein Nachholbedarf an Informationen über die Geschichte und Kultur Südasiens: Jeder gebildete Inder weiß, wer Goethe oder Shakespeare ist, aber welcher gebildete Akademiker in Deutschland kennt Kalidasa? Darüber hinaus geht es darum, kulturelles Erbe zu bewahren und zu erschliessen. Es kann zu gegebenen Zeiten auch für die Zukunft von Bedeutung sein. Der „Profit“ des Westens für ein Verständnis des modernen Indiens liegt darin, dass die Gegenwart nur versteht, wer die Geschichte kennt.
In jüngster Zeit hat sich in Deutschland ein regelrechter „Indien-Boom“ entwickelt. Wie schätzen Sie dieses plötzlich auftretende rege Interesse ein? Merkt man im Institut etwas davon, haben Sie mehr Studenten als zuvor?
Das gegenwärtige Indieninteresse ist aus meiner Sicht teilweise eine Mode oder Welle, teilweise beruht es auf geänderten Medienbedingungen. Ein starkes Indieninteresse kommt periodisch hoch, in der Romantik, in den Zwanziger Jahren, mit der Hippiewelle und jetzt im Bollywood-Fieber. Zugleich hat sich aber Indien selbst von der esoterischen Propagierung von hauptsächlich Gurus und Yoga etwas gelöst. Das neue Indien ist selbstbewusst und lebensnah und keineswegs weltabgewandt und asketisch. Diese Seite Indiens wird nun im Westen entdeckt; das Computer-Indien und die Filmindustrie haben sicher dazu beigetragen.
Es gibt zahlreiche Universitäten in Deutschland, die Indologie lehren, Heidelberg zählt darunter sicherlich zu den renommiertesten. Kooperieren Sie mit anderen Universitäten, ggf. auch international? Wie sieht so eine Kooperation konkret aus?
Das Südasien-Institut wie auch die Abteilung Klassische Indologie kooperiert mit zahlreichen Universitäten in der ganzen Welt. Dabei geht es um Studenten- und Dozentenaustausch (z.B. im Erasmus-Programm), Wissenschaftstransfer, Kooperation in der Feldforschung, gemeinsame Organisation von Tagungen und anderes mehr.
Wie ist das Studium gegliedert? Kann ich mir den Indologiestudenten als Bücherwurm vorstellen oder gibt es auch praktische Tätigkeiten (z.B. Exkursionen)?
Das Studium der Indologie in Heidelberg umfasst vor allem ein gründliches Sprachstudium. Daneben müssen in Vorlesungen und Seminaren grundlegende Kenntnisse in speziellen Themen erarbeitet werden. Ein Aufenthalt in Südasien wird dringend empfohlen, kann aber aus rechtlichen Gründen nicht im Studienplan verbindlich sein. Das Südasien-Institut ist mit seinen drei Aussenstellen in New Delhi, Colombo und Kathmandu bei der Organisation von Exkursionen, Praktika oder Sprachaufenthalten behilflich.
Ein paar Worte zu Ihnen persönlich. Was hat Sie seinerzeit gereizt, sich näher mit Indien zu beschäftigen?
Mich hat es nach Indien gezogen, weil ich in eine Frau verliebt war, die ein DAAD-Indienstipendium bekommen hatte. Das Land selbst, vor allem seine Religionen und Kulturen, haben mich dann so fasziniert, dass ich nach meiner Rückkehr beschloss, auch Indologie zu studieren.
Sie haben den Subkontinent schon öfter besucht, was war Ihr erster Eindruck, was hat sich bis heute verändert?
Meine ersten Eindrücke von Indien waren durch Gerüche, Geräusche und Farben geprägt, dann kamen schnell die herzliche und stolze Liebenswürdigkeit vieler Menschen hinzu, die ich kennen und schätzen lernte. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch nicht im modernen Indien.
Stimmt es, dass es größtenteils „Nicht-Inder“ sind, die in Deutschland Indologie studieren? Woran liegt das, haben sich diejenigen, die tatsächlich indische Wurzeln besitzen, von ihrer Kultur entfernt?
Es stimmt, dass hauptsächlich „Nicht-Inder“ Indologie studieren, aber gemessen am Anteil der Bevölkerung studieren am Südasien-Institut sehr viele Inder und Inderinnen bzw. Deutsche, die indische Eltern oder Wurzeln haben.
Ich greife den Titel eines Seminars der FES am 25.9.03 in Berlin (wir berichteten) auf: „Ist Hindunationalismus eine Gefahr für Indiens Demokratie?“
Nationalismus ist wohl immer dann eine Gefahr für die Demokratie, wenn er gewalttätig wird.
Unsere obligatorische Frage, wenn wir Professoren interviewen: was geben Sie Ihren Studenten mit auf den Weg?
Ich hoffe, Respekt für andere Menschen und Kulturen.
Professor Michaels, ich bedanke mich für dieses informative Gespräch!
Foto: (c) Universität Heidelberg/Benjamin