Maya ist 28 Jahre und in Österreich aufgewachsen. Ihr Vater stammt aus Bihar, kam zum Studieren nach Österreich, hat sich dort verliebt und ist geblieben. Ein erster Besuch ihrer Mutter in Indien verlief mehr oder weniger katastrophal. Die junge Frau kam mit den anderen Sitten und dem geänderten Verhalten ihres Ehemannes nicht zurecht. Die indischen Verwandten kamen mit der jungen Österreicherin nicht zurecht. So entwickelte sie eine eigenartige Haßliebe zu Bihar. Maya und ihre Geschwister wurden sehr österreichisch erzogen. Indien besuchte Maya zum ersten mal mit 19 Jahren. Sofort spürte sie eine große Vertrautheit mit dem Land und seinen BewohnerInnen. Sie fühlte sich zu hause. Viele Dinge, die ihr an ihrer Familie in Österreich seltsam erschienen, meinte sie nun als indisch zu erkennen. Wieder zurück in Österreich belegte sie an der Universität in Wien einen Hindikurs. Erst beim Studium in Wien, als sie ihren Vater in einem Cafe traf, fiel ihr auf, dass er anders aussah als die anderen. Mit 21 Jahren ging sie für ein Austauschjahr an die Delhi University. Es gefiel ihr so sehr, dass sie noch ein zweites Jahr daran hing und mittlerweile schon sechs Jahre in Delhi lebt. Hier fühlt sie sich wohl, hier möchte sie bleiben. Im Heimatort ihres Vaters, Patna würde sie nicht wohnen wollen. Dort wäre ihr nicht nur die Familie zu nah. Glücklicherweise hatte ihr Vater den Verwandten gesagt, sie sollen sie in Ruhe lassen, sie machen lassen, was sie will. Sie besucht sie ab und zu, hat ein gutes Verhältnis zu ihnen und in Delhi ihr eigenes Leben. Ihre Mutter, und auch ihr Vater, haben damit noch immer etwas Schwierigkeiten. Sie wünschen sich ihre Tochter zurück in Österreich. Aber da zieht es Maya nicht hin, mit ihrem Heimatland verbindet sie eine eigenartige Beziehung, ihr fehlt dort etwas. Glücklich ist sie in Indien.
Sie arbeitet für die Organisation Sangini (India) Trust. Das Gehalt, dass sie bekommt ist ok für Indien, ein Flugticket nach Wien ist allerdings Luxus. Das stört sie nicht. Um sich zu finanzieren, betreiben sie auch ein kleines Gästehaus. Ihre Arbeit für Sangini macht Maya aus Überzeugung. Die Organisation wurde 1997 von Betu und Cath als Anlaufstelle für Frauen, die sich von Frauen angezogen fühlen, sowie Frauen, die sich mit ihrer Gender-Identität auseinander setzen, gegründet. Sie bieten ein Notruftelefon und Beratung, organisieren eine Selbsthilfegruppe und machen Öffentlichkeitsarbeit. Sie wollen da sein für Frauen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in Not sind. Sie bieten einen geschützten Platz, an dem sich diese Frauen treffen können. Und sie kämpfen dafür, dass (Homo-)Sexualität in Indien nicht weiter verschwiegen und stigmatisiert wird. Ein Gesetz aus kolonialen Zeiten kriminalisiert „unnatürliche“ Geschlechtsakte. Die Gesellschaft ist ausgesprochen homophob, ein öffentliches Leben von Homosexualität ist fast nicht möglich. Das ist anders als in Österreich. Dort konnte Maya offen leben, sie hatte keine Probleme. Ihre österreichische Mutter hatte allerdings mehr Probleme mit ihrem Coming Out als ihr indischer Vater. Sie will nicht, dass Maya es ihrer österreichischen Großmutter erzählt, und Maya respektiert diesen Wunsch selbstverständlich. Ihren indischen Verwandtschaft in Bihar erzählt Maya es auch lieber nicht. Es sind die Verwandten ihres Vaters und sie will nicht, dass er sich deren Befragungen unterziehen muss. Die Verwandten wissen aber, dass Maya nicht heiraten will und dass sie mit Hijras (Intersexuelle ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale bzw. biologische Männer, die sich als Frauen kleiden) arbeitet. Mayas Eltern haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sie eines Tages nach Österreich zurück kommt und dort vielleicht auch wieder „normal“ lebt. Das hat Maya aber zur Zeit (noch) nicht vor. Sangini hat einen Platz in Delhi geschaffen, an dem sie ihr Leben geschützt leben kann. Die indische Homophobie kann ihre Liebe zu dem Land nicht zerstören.
Aber natürlich ist sie vorsichtig, hängt ihr Engagement nicht an den großen Nagel. Die Adresse von Sangini (India) Trust bleibt vertraulich. Ich durfte sie dort besuchen, da mich eine Freundin empfohlen hatte. Unbekannte treffen sie lieber woanders. Fotos darf auch ich nicht machen. Ihren Nachnamen soll ich für mich behalten. Da ich aber in Deutsch schreibe, und damit keine indische Öffentlichkeit erreiche, darf ich ein Porträt über sie machen. Maya und die anderen Frauen von Sangini sind vorsichtig. Ihr Büro in dem Wohnviertel ist unscheinbar, die Nachbarn wissen nicht genau, was sie machen. Für sie arbeitet Sangini generell zu Sexualität, wenn jemand genauer nachfragt, kristallisiert sich Homosexualität als einer der Schwerpunkte heraus. Diese Vorsicht ermöglicht ihnen einen weitgehend unbeschwertes Leben und einen sicheren Arbeitsplatz. Ihr Haus ist einer der wenigen lesbischen Treffpunkte Delhis. Hier ist immer etwas los und meistens gute Stimmung.
Links Sangini (India) Trust: www.sanginii.org
Weitere Informationen zu Queer India: www.urmila.de/indien
Forschungsprojekt „Die virtuelle zweite Generation“: www.urmila.de/forschung