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Karan Johar: „Ich habe Grenzen ausgetestet, aber nicht überschritten!“

Die Frankfurter Buchmesse 2006 erhielt in diesem Jahr hohen Besuch aus Bollywood: Karan Johar stellt gerade in Deutschland seinen neuen Film „Khabi Alvida Naa Kehna“ (KANK) vor. Johar, Sohn des mittlerweile verstorbenen, berühmten Filmproduzenten Yash Johar, landete bereits mit seinem Regiedebüt „Kuch Kuch Hota Hai“ einen großen Erfolg an den Kinokassen, doch sein zweiter Film „Kabhi Khushi Kabhie Gham“ war der absolute Blockbuster, der auch die Tür für das indische Kino nach Deutschland öffnete. Der 34-Jährige, der die Produktionsfirma Dharma Productions von seinem Vater übernommen hat, hat sich in Indien auch mit einer eigenen Talkshow einen Namen gemacht. Auf der Buchmesse zeigte sich Johar seinen Fans während einer Autogrammstunde am Stand von Rapid Eye Movies, dem deutschen Filmverleih für Johar-Filme, und war bei einem Filmscreening von KANK anwesend, wo er kurz in den Film einführte. Zudem fand ein einstündiges Pressegespräch statt, bei dem auch theinder.net die Gelegenheit hatte, einige Fragen an Johar zu richten.

 
Herr Johar, Ihr Film Kabhi Khushi Khabhie Gham hat in Deutschland einen Bollywoodboom ausgelöst. Inwieweit haben Sie das mitbekommen?
 
Vor drei oder vier Jahren hat meine Produktionsgesellschaft Dharma Productions eine Partnerschaft mit dem Filmverleih „Rapid Eye Movies“ in Deutschland begonnen und wir wurden über den großen Erfolg von Kabhi Khushi Khabhie Gham informiert. Zudem bekam ich auch ein direktes Feedback über die Webseite von Dharma Productions. Bis heute sind die Rückmeldungen aus Deutschland gewaltig, die Anzahl der Emails ist von etwa zehn pro Tag auf fast hundert gestiegen! Ich spüre ein wachsendes Interesse gegenüber unseren Filmen in Deutschland. Es macht uns sehr stolz und glücklich, dass ein nichtindisches Publikum unser Kino so sehr liebt wie wir selbst.
 
Khabi Alvida Naa Kehna ist für indische Verhältnisse ein recht ungewöhnlicher Film. Zwei Menschen verlieben sich ineinander und am Ende scheitern daran ihre Ehen. Für das Kino im Westen ist eine solche Handlung aber nichts Besonderes. Was kann der westliche Zuschauer Ihrer Meinung nach aus dem Film lernen?
 
In Indien passieren ähnliche Dinge wie im Westen. Auch bei uns zerbrechen Ehen, auch bei uns heiraten Menschen aus den falschen Motiven heraus und auch bei uns begehen Menschen Ehebruch. In Indien tendieren wir allerdings dazu, bestimmte Wahrheiten zu bestreiten und verschließen unsere Augen vor der Realität. Khabi Alvida Naa Kehna stellt sich solchen Fragen und zeigt die Realität. In Indien waren viele Leute schockiert über den Film, 50% der Kinobesucher fanden ihn sehr progressiv, sehr modern, sehr aktuell, sehr real. 50% des konservativen Publikums hätten mich wohl am liebsten umgebracht, weil sie mir vorwarfen, mit diesem Film Untreue und Scheidung zu rechtfertigen. Aber dieser Vorwurf ist falsch!
 
Ich will mit diesem Film lediglich erreichen, dass die Menschen in sich gehen, bevor sie den wichtigen Schritt einer Ehe wagen. Meiner Meinung nach wird die Institution Ehe heutzutage auf der ganzen Welt häufig missbraucht. Man heiratet aus verschiedenen Gründen, aufgrund von finanziellem, sozialem, emotionalem oder auch elterlichem Druck. Doch der einzige Grund zu heiraten sollte der sein, dass man tief in seinem Herzen davon überzeugt ist, dass die auserwählte Person diejenige ist, mit der man sein restliches Leben verbringen will und die man über alles liebt. Ähnlich wie Gold und Silber verblasst zwar auch die Liebe im Laufe der Zeit, aber es sollte zumindest Gold sein, womit man eine Ehe anfängt. Ich glaube also, man sollte beim Heiraten keine Kompromisse schließen, weil uns solche Kompromisse irgendwann einholen und dann Beziehungen zerstören. Khabi Alvida Naa Kehna ist ein wichtiger Film, weil er diesbezügliche Fragen aufwirft. Wir Inder mögen es manchmal nicht, uns solchen Fragen, die unser Familienleben betreffen, zu stellen. Wir mögen es nicht, weil wir vielleicht mit einer Lüge leben und die Wahrheit nicht sehen wollen. Khabi Alvida Naa Kehna zeigt die Wahrheit und das ist der Grund, warum es so viele Leute schockiert hat. Aber ich glaube, ein Film wie dieser war wichtig, weil er weitere Filme nach sich ziehen wird, die Grenzen überschreiten. Im Leben ist nicht immer alles rosarot, wir haben alle eine dunkle Seite und Khabi Alvida Naa Kehna ist ein Film über unseren dunklen Charakter.
 
Sie haben mal geäußert, dass Khabi Alvida Naa Kehna ein mutiger Film ist, er aber noch nicht mutig genug ist. Wie hätte ein noch mutigerer Film ausgesehen?
 
Wenn ich noch mutiger gewesen wäre, hätte man mich in Indien wahrscheinlich umgebracht. Um das zu vermeiden, musste ich dem Empfinden des Publikums Gerechtigkeit widerfahren lassen. So musste ich am Ende eine Lücke zwischen den beiden Liebenden lassen, damit sie durch den Prozess einer emotionalen Buße gehen können. Ich musste sie leidend zeigen, damit man mit ihnen mitfühlen konnte. Nur so kann ein indisches Publikum mit den Protagonisten des Films mitfühlen, weil die Schuld ganz klar auf deren Seite liegt. Ich habe also Grenzen ausgetestet, aber nicht überschritten. Ein noch mutigeres Khabi Alvida Naa Kehna wäre meines Erachtens zu mutig für jegliches Publikum gewesen, es existiert lediglich in meinem Kopf und da würde ich es auch gerne belassen.
 
In Ihren Filmen flüchten die Protagonisten oft aus der Realität in Reichtum und Wohlstand. Denken Sie nicht, dass Sie damit Probleme verharmlosen?
 
Meine Filme spielen in einem urbanen Umfeld, weil das die Welt ist, der ich ausgesetzt bin, die ich beobachte und die ich wirklich verstehe. Ich glaube nicht, dass ich Dinge transportieren kann, die nicht auf meinem persönlichen Erleben beruhen. In diesem Sinne bin ich kein kompletter Filmemacher, ich zeige ausschließlich die Welt, die ich verstehe. Allerdings handeln meine Filme immer von Emotionen, die allen Gesellschaftsschichten vertraut sind. Unabhängig vom Einkommen teilen alle die gleichen Gefühle und sind den gleichen Konflikten mit den Eltern oder anderen geliebten Menschen ausgesetzt. Eine andere Gesellschaftsschicht könnte ich nur sehr synthetisch und künstlich porträtieren und das möchte ich nicht. Was ich zeige, ist die Welt, aus der ich komme, die Welt, in die ich gehöre, und es liegt an meiner Unvollkommenheit, dass ich keine Stimmungen einfangen und beschreiben kann, die ich nicht verstehe.
 
Ihre letzten Filme sind alle außerhalb Indiens angesiedelt. Kehren Sie mit Ihrem nächsten Film wieder nach Indien zurück?
 
Vielleicht werde ich mal wieder einen Film drehen, der wie Kuch Kuch Hota Hai komplett in Indien spielt. Allerdings ist es für Inder ja nicht ungewöhnlich, dass sie ihre Wurzeln in Indien haben, aber anderswohin auswandern, etwa aus finanziellen oder sozialen Gründen. Mich fasziniert dabei die Tatsache, dass man so starke Gefühle für sein Heimatland haben kann, während man anderswo lebt. Das Drama, das man dabei oft durchleidet, versuche ich in meinen Filmen einzufangen, dieses ganze Gefühl der Sehnsucht und das Bemühen, seine Wurzeln nicht abbrechen zu lassen. Wir nennen diese Leute Non Resident Indians und ich werde oft gefragt, ob meine Filme nur für diese Leute gemacht sind. Ich betone aber, dass diese Menschen keine außenstehende Gruppe darstellen. Sie sind zwar geographisch von uns getrennt, aber sie denken mit so viel Leidenschaft an ihr Land, sie versuchen so sehr, ihren Wurzeln verbunden zu bleiben, dass sie tatsächlich indischer sind als die meisten von uns, die in Indien leben, es je sein könnten.
 
Im Moment werden große Anstrengungen unternommen, Bollywoodproduktionen nach Deutschland zu holen. Wann werden Sie Ihren ersten Film in Deutschland drehen?
 
Nun, ich bin überwältigt von den Reaktionen, die ich in Deutschland erhalten habe, und deshalb ist diese Überlegung auf jeden Fall Teil meiner Gedanken. Aber es hängt von dem jeweiligen Drehbuch ab. Wenn ich in Deutschland drehen sollte, muss der Film auch in Deutschland angesiedelt sein, die Geschichte muss hier spielen. Wenn ich also ein Drehbuch schreibe, dem diese Umgebung förderlich ist, wird dies auf jeden Fall geschehen. Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl, da hier das indische Kino eine so große Akzeptanz erfährt. Die Chance, dass ich hier einen Film drehe, ist also sehr groß!
 
Ich danke für dieses Gespräch.
 
Gern.

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