Seit 1963 wird dem Staatsgründer Jawaharlal Nehru die Aussage in den Mund gelegt: „Staudämme sind die Tempel des modernen Indiens“. Und die Schriftstellerin Arundhati Roy hält dem entgegen „Staudämme sind Waffen zur Massenvernichtung“. Dieser Artikel von Nadja Horvath und Michael Rajiv Shah soll einen skizzenhaften Abriss wiedergeben, der Hintergründe des Fürs und Widers und ihrer Berücksichtigung in einer „demokratischen“ Entwicklung beleuchtet – aus einem Land, dass mit ca. 3.500 Mega – Dämmen zur drittgrößten Staudammnation der Welt zählt.
Wasser
Nicht nur in Indien bewegt die gerechte Verteilung der wichtigsten Ressource für das Leben auf unserm Planeten die Gemüter, sondern sie entwickelt sich für alle zu einem der Kernpunkte des Überlebens unserer Weltgemeinschaft.
In Indien hat Wasser nicht nur aufgrund mythologischer Hintergründe eine besondere Bedeutung. Denn aufgrund der Dimension und der klimatischen Unterschiede innerhalb des subindischen Kontinents wird der Umgang mit Wasserverteilung zum Anschauungsprojekt für Demokratie und dem Umgang von Macht.
Für eine „regionale“ Beurteilung scheint es wichtig, sich sowohl mit den speziellen indischen mythologischen Hintergründen auseinanderzusetzen als auch den regionalen Begebenheiten, die Gesamtgrößenordnung aller Dammprojekte, die daraus vorhandenen historischer Erfahrungen sowie die sozialen Auswirkungen zu berücksichtigen.
Die Mythologie
Die NARMADA ist nach Ganges der heiligste Fluss in Indien. Sie wurde nach Shivas Tochter Narmada benannt. Die Legende besagt dass diese aus einem Schweißtropfen, der von Shivas Stirn tropfte, entstanden sei. In den Abbildungen hält sie in einer Hand eine Shivalingam. Jeder Stein in der Narmada soll daher eine Shivalingam sein.
Mythologisch-bildhaft ausgedrückt spiegelt das NARMADA Projekt den Umgang mit religiösen Inhalten wieder – durch das Anheben des Wasserspiegels, werden die Shivalingams (archaisches Symbole der Fruchtbarkeit) quasi ertränkt. Eine gewisse Ironie in der Übereinstimmung mit Nehrus „neuen Tempeln Indiens“ ist kaum zu übersehen.
Andere Quellen besagen, dass Narmada die Mutter und die Geberin von Frieden ist. In diesen heißt es weiter, dass ein bloßes Ansehen dieses Flusses genug für die Reinigung der Seele wirkt und gleich wie ein Tauchbad in dem Ganges oder sieben in der Yamuna ist.
Ausgehend von dieser Sicht könnte daraus der Anfang einer erfolgreichen Tourismusstory abgeleitet werden, die der angeschwollenen Narmada eine neue Bedeutung gibt.
Der Ort des Geschehens
Wikipedia schreibt: „Die Narmada entspringt im Norden des Bundesstaates Madhya Pradesh auf dem Gipfel des Amarkantak, windet sich auf den ersten 320 km ihres Laufes zwischen den Hügeln des Mandla-Hochlandes, die den Beginn des Satpuragebirges bilden, fließt bei Jabalpur durch schön anzusehende marmorne Felsen (Bheraghat), die den Flusslauf der Narmada einkeilen, dann durch das vom Vindhya- und Satpuragebirge gebildete Tal in südwestliche Richtung. Die etwa 20 km lange Trichtermündung liegt nördlich von Surat im Golf von Cambay am Arabischen Meer.“
Das Narmada Projekt
Das Projekt zur Entwicklung des Narmada-Tals sieht den Bau von 30 großen, 135 mittleren und 3000 kleinen Dämmen an der Narmada und ihren Nebenflüssen vor. Das erweiterte Ziel besteht darin, den Süßwassersegen mittels Kanalsystemen in landwirtschaftlich extensiv nutzbare bisher wüste Gegenden umzuleiten. Somit können die natürlichen Gegebenheiten außer Kraft gesetzt werden. Wüstes Land soll fruchtbar gemacht werden, um den mit der Elektrifizierung einhergehenden Wohlstandsanstieg der Westlichen Welt nachzuholen.
Die prominenteste, letzte Talsperre vor dem Zufluss in die arabische See ist die Sardar-Sarovar-Talsperre im indischen Bundesstaat Gujarat. Laut Wikipedia ist sie seit 1961, als der Grundstein gelegt wurde, in Bau. Die endgültige Fertigstellung zögert sich durch Proteste und Gerichtsprozesse, auf die noch später einzugehen ist, hinaus. Das Jahr 2025 wurde als Endigungszeitpunkt ins Auge gefasst. Die Betonstaumauer wird die dritthöchste in Indien sein – nach Bhakra (226 Meter) in Himachal Pradesh und Lakhwar (192 Meter) in Uttar Pradesh. Nach dem verbauten Betonvolumen ist diese Staumauer die zweitgrößte der Erde.
Historischer Kontext
Schaut man sich die Entwicklungen rund um den Mitte des 20 Jahrhunderts projektierten größten indischen Bhakrastaudamm an und überträgt im Rückblick Erkenntnisse aus den Folgen und dem Umgang mit auf NARMADA und andere Großprojekte, so erhält man Aufschluss über die eigentliche Problematik fast aller NEOINDISCHEN TEMPEL Anlagen.
Es gibt Gewinner und Verlierer.
So musste der ehemalige Minister für Wasserversorgung K.L. Rao nach einem Ortstermin 1978 feststellen, dass das Dorf Bhakra selber weder eine örtliche Stromversorgung, noch ein moderneres Trinkwassersystem erhielt. Nach der Überschwemmung mit 1.500 Toten des Jahres 1988, gab Premier Rajiv Gandhi öffentlich zu, dass die seit 1951 in Angriff genommenen 246 Großprojekte regional betroffenen Menschen keinen messbaren Nutzen gebracht haben.
Im Zusammenhang mit einer durch die rot-grüne Deutsche Bundesregierung zugesagte Hermesbürgschaft für ein Turbinenprojekt, kamen beauftragte neutrale Gutachter zu ähnlich niederschmetternden Ergebnissen, sodass sich beteiligte deutsche Unternehmen und Großbanken auch aufgrund öffentlicher Proteste zurückzogen.
Es ist schon erstaunlich, dass die größte Demokratie der Erde ein solches Ungleichgewicht duldet. Auch ob der frühen politischen Feststellungen, stellt die Gesamtheit der Projekte Indiens demokratisches Selbstverständnis in Frage.
Die Gewinner
Die Bundesstaaten Gujarat, Madhya Pradesh, Maharashtra und ihre mit Wasser und Elektrizität versorgte Bevölkerung und Industrie müssen zu den Gewinnern gezählt werden. Frau Roy, eine der populärsten Aktivistinnen gegen das NARMADA Projekt rechnete in einem Interview aus dem Jahr 2003 die Gewinner auf 33.000.000 – 40.000.000 Menschen in o.g. Bundesstaaten hoch.
Eine tatsächlich nicht zu verachtende Anzahl, die die Richtig- und Wichtigkeit des Projektes eindeutig unter Beweis zu stellen scheint.
Die Verlierer
Betrachtet man auf der anderen Seite die Anzahl der Verlierer, so kommen Frau Roy und andere auf Werte zwischen 200.000 – 400.000 Familien, die Ihre Lebensgrundlage verlieren. Da keine amtlichen Zahlen über das tatsächliche vorliegen, kann man leider nur auf etliche Berichte von Hilfs- und Aktionsgruppen die gegen das Projekt sind zurückgreifen.
Demzufolge werden Hunderttausende infolge der damit verbundenen Entwicklungen ihr Land oder ihren Lebensunterhalt verlieren. Tausende bereits Umgesiedelte kämpfen angeblich auf überfüllten Grundstücken ums Überleben, ohne urbares Land oder Möglichkeiten für den Lebensunterhalt zu haben.
Augenfällig ist, dass nach den meisten vorliegenden Quellen der überwiegende Teil der betroffenen aus Adivasis und Dalits besteht.
Das von der Regierung zugesagte Umsiedlungsland erscheint in der Regel so unfruchtbar gewesen zu sein, dass die auf die Ernte angewiesenen Bauernfamilien hungerten. Auf den ersten Blick scheint die mit staatlicher Unterstützung vorangetriebene Industrialisierung zunehmend auch die letzten Rückzugsgebiete der Urbevölkerung zu zerstören.
Die Gewinner müssen sich trotz bzw. gerade wegen der absoluten Zahl fragen lassen, ob die neuen TEMPEL der indischen Moderne nicht einen sehr hohen Preis darstellt. Ein Preis der die Ziele der 1948 gewonnenen Freiheit sehr in Frage stellt.
Es scheint daher doch eine große Rolle zu spielen, dass hier vor allem Adivasis und Dalits betroffen sind und Demokratie dann anders funktioniert als herkömmlich angenommen wird. Der gerechte Ausgleich für die Lasten, die hier von diesen Bevölkerungsgruppen getragen werden, ist nicht sichtbar – die versprochenen Entschädigungen und finanziellen Unterstützungen erweisen sich anscheinend als leere Versprechungen.
Es scheint schwer vorstellbar in einer westlichen Demokratie 200.000 Familien zu enteignen und umzusiedeln, wobei zu beachten ist, dass die Größenordnung hier andere sind, aber auch nur 10.000 Menschen zwangsweise umzusiedeln, um ein Großprojekt gegen den Willen der ansässigen Bevölkerung umzusetzen, erscheint uns in Europa kaum vorstellbar.
Aber auch wir im Europa müssen uns hüten, mit Fingern auf das indische Unvermögen, der Schaffung eines gerechten Ausgleichs für die Verlierer, zu zeigen. Denn klar ist, dass es unsere wirtschaftlichen Vorstellungen von mehr Wachstum, mehr Profit und mehr Wohlstand sind, denen die aufsteigenden Länder wie Indien und China nacheifern und profitieren westliche Firmen von diesen Entwicklungen.
Der Widerstand
Bei unseren Recherchen zum Thema Narmada, schloss ich der Kreis für uns bei den Ursprüngen der indischen Unabhängigkeit. Denn die Wurzel der Unhabhängigkeit liegen bei Gandhi und den Prinzipen der SATYAGRAHA (Satyā, die Wahrheit.; Graha, stark an etwas festhalten).
Baba Muralidhar Devdas Amte indischer Menschenrechtler, Preisträger des International Gandhi Peace Preis und einer der letzen lebenden Gandhischüler gründete gemeinsam mit Medha Patkar die regional stärkste Organisation gegen das Narmada-Staudammprojekt Narmada Bachao Andolan. Die indische Ökologin und Bürgerrechtlerin Medha Patkar verwendet bei ihren Protesten o.g. Prinzipen der truth force nach dem Vorbild Mahatma Gandhis.
Seit 2005 wird der Narmada Bachao Andolans Protest wird durch ein Urteil des Indischen Obersten Gerichtshofes aus dem vergangenen Jahr gestützt. Der Gerichtshof hatte der Regierung die Auflage erteilt, für angemessene Umsiedlung und Entschädigung der betroffenen Bevölkerung zu sorgen. Vorher dürfe eine weitere Erhöhung des Staudamms nicht erfolgen. Am 8. März hatte sich die Narmada Kontrollbehörde diesem Urteil widersetzt und einer Erhöhung des Damms zugestimmt.
Mit einem Hungerstreik erzwang Medha Patkar im April 2006 einen Baustopp.
Wie schon Gandhi mehrfach während seines Weges für den Indischen Unabhängigkeit scheint auch Medha Patkar mit ihrem Hungerstreik die Herzen der maßgebenden Menschen – der Öffentlichkeit – erreicht zu haben.
„Für Medha Patkar, stellt sich das Problem ganz anders dar. Wann immer wir an einer Weggabelung stehen, sollten wir an den Schwächsten denken, erinnert sie an Gandhis Worte. Anders ausgedrückt: Entwicklung an sich ist nicht das Problem, die Frage ist vielmehr Entwicklung für wen und auf wessen Kosten? Und wo stehen die Entrechteten, die Dalits, wie sich politisch bewusste Unberührbare heute nennen, in der langen Schlange derer, die darauf hoffen, selbst einmal in den Genuss von Entwicklung zu kommen?“
Die Relevanz seiner Ideen für die heutige Zeit unterstrich die kürzlich stattgefundene zweitägige internationale Konferenz zum 100.sten Jahrestag des Prinzips der SATYAGRAHA. Nicht die Person, sondern seine Ideen sind es, die auch heute noch Ihre Wirkung zeigen.
Die Schirmherrin Sonia Gandhi: „The relevance of Mahatma Gandhi is not the real issue. Our preparedness for him is.“
Die Narmada Bachao Andolan (NBA – „Bewegung Rettet den Narmada“) will den März zu einem Aktionsmonat machen. Es sei an der Zeit, dass die Politiker sich an die Gesetze und einschlägigen Gerichtsurteile hielten und die Rehabilitation der Betroffenen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen rückten, fordern die Staudammgegner.
Quellen
http://www.agenda-fototext.de/html/projekte/Narmada1/index.html http://de.wikipedia.org/wiki/Narmada
http://www.narmada.org/
http://www.narmada.org/maps/ssp.project.area.jpg
http://de.wikipedia.org/wiki/Sardar-Sarovar-Talsperre
http://digital.lib.muohio.edu/theses/pdf/4439454D10810Z.pdf
http://www.pbs.org/wnet/wideangle/shows/dammed/transcript.html
http://www.permakultur-akademie.de/modules.php?name=News&file=article&sid=55
http://de.wikipedia.org/wiki/Satyagraha
http://religion.orf.at/projekt03/tvradio/ra_gedanken/ra_ged040930_voykowitsch.htm
http://www.dnaindia.com/report.asp?NewsID=1076775
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Indien/narmada4.html