(von Manveer Singh Mattu) Der Traum eines jeden einigermaßen rationalen indischen Fußballfans kann in jedem Fall in diesen folgenden Stichpunkten zusammengefasst werden: Weltmeisterschaft 2050, die sich in alle Herzen spielende indische Nationalmannschaft steht im Finale des Turniers und hat die Möglichkeit Geschichte zu schreiben…Elfmeterschießen…der Kapitän verwandelt den entscheidenden Treffer und schießt Indien in die grenzenlos Glückseligkeit und in den Thron des Weltfußballs.
Dass diese Vorstellung bisher wohl nur als willkommene Tagträumerei einen realistischen Nutzen hat, erscheint auf dem ersten oberflächlichen Blick recht komisch. Eine Nation von einer Milliarde Menschen sollte doch eine Elf oder einen schlagkräftigen Kader von 23 Spielern aufstellen können. Allerdings verhält es sich damit wie mit quasi allem in der Welt: „Nichts ist so einfach wie es scheint“.
Die Probleme scheinen tiefgründiger und vielfältiger zu sein.
Was allerdings überraschend klingen mag: Fußball kann als eine der beliebtesten Sportarten gesehen werden – auf einer Ebene mit Cricket und Hockey. Vor allem die Unter- und Mittelschicht begeistert sich für diesen bezaubernden Sport. Man muss sich nur z.B. die Matches des East Bengal Clubs gegen Mohun Bagan AC, die sich beide in Kalkutta befinden, betrachten. In einer atemberaubenden Atmosphäre im Saltlake Stadium mit 120.000 Zuschauern werden die Spiele ausgetragen und befinden sich daher stimmungsmäßig auf Topweltniveau.
In den Straßen von Delhi sieht man derweil zahlreiche Kinder dem Ball nachjagend. Insofern kann man sogar wirklich von einer fußballbegeisterten Nation sprechen. Nun aber die sportlichen internationalen Fakten: Indiens Position in der Weltrangliste ist die 144. und die letzten Jahrzehnte kann man wohl nur als erfolglos bezeichnen.
Die Qualifikation für die WM erscheint eher sehr unrealistisch. Wo liegen nun die Gründe? Zum einen wird das beschriebene Potenzial und die Begeisterung der Menschen nicht ausgenutzt. Die zahlreichen kickenden Kinder haben keine Chancen, ihre möglichen Talente zu entwickeln, da schlichtweg keine oder unzureichende Jungendförderung existiert. Jugendakademien oder Fussballschulen, die eine professionelle taktische und spielerische Entwicklung ermöglichen würden, sind Voraussetzung für eine hoffnungsvolle Zukunft. Das Potenzial liegt auf den Strassen, nur müssen seitens des Verbandes und der Vereine Strukturen geschaffen werden, die die Ausbildung der Spieler verbessern.
Ein weiteres Problem ist die amateurhafte Vermarktung des Sports. Es fehlt an ausreichender Werbung für die Spiele und Spieler der Profiliga und an ordentlicher Organisation des Ligabetriebs. Zudem ist Fußball im indischen Fernsehen kaum vertreten. Zumindest wurde der Versuch genommen, einen Neuanfang auf nationaler Ebene zu wagen, und zwar mit der neuen Profiliga I-League, die – auf dem Papier – bessere Vermarktung und Jugendarbeit der Vereine verspricht.
Die Fußballverbände ihrerseits müssen sich in ihrer Organisation ändern und beispielsweise ihre Entscheidungsträger wechseln: Es müssen Leute mit Fußball- und Marketing-Know-how her, die die bisherigen Politiker, die wenig Ahnung, jedoch umso machtbewusster sind, ersetzen.
Vor Indien liegt noch ein langer Weg, bis man sich endlich einmal mit den Topnationen messen darf und die Menschen des Subkontinents mit Stolz die Spiele ihrer Mannschaft verfolgen können.
Der Tag, der vielleicht gar nicht 40 Jahre weit entfernt ist, an dem eine indische Mannschaft einen Pokal in den Händen hält, sollte Anreiz genug sein, die benötigten Maßnahmen anzugehen.
Bis dahin kann man sich ab und zu eine Auszeit nehmen und friedlich und schön von einem Finale Indien – Deutschland bei einer WM träumen. Das Wunschergebnis bleibt dabei einem konfliktfrei selbst überlassen…
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