Der Schriftsteller Anant Kumar, Jg. 1969, stammt aus dem indischen Bundesstaat Bihar. Zum Studium verschlug es ihn nach Deutschland, passenderweise „dem Land der Dichter und Denker“. Anant Kumar ist seiner neuen Wahlheimat Kassel bis heute treu geblieben und ist gefühlt Weltmeister im Lesereisen. Es ist ihm einerlei, ob er vor fünf oder 500 Zuhörern spricht, das Vermitteln von Inhalten sei ihm wichtig, wie er mir einst verriet. Anant Kumar ist bereits lange Kolumnist für theinder.net und einer der führenden indischstämmig-deutschsprachigen überhaupt. In diesem Gespräch konnte ich einen fortwährenden schriftstellerischen Reifeprozess bei Anant Kumar beobachten. Seine Antworten sind für mich ungewohnt knapp, dafür aber pointierter.
Anant! Ich habe ein neues Buch von Dir entdeckt: „Berlin-Bombay“ (s. Foto), worum geht es darin?
Das ist eine Gesellschaftschronik der Generation meiner Eltern, die 60er, 70er, 80er, 90er umfasst. In die große Liebe zwischen dem Scharlatan-Inder, Professor Dipak Talgeri aus Bombay, und der blonden Bedienung Eva Seilmeyer aus Bielefeld werden die soziokulturellen und politischen Vorfälle der BRD und des Indiens nach der Unabhängigkeit eingeflochten.
Wir haben uns eine zeitlang nicht gesehen, bist Du schriftstellerisch aktiver als vor 10-15 Jahren?
Das stimmt, Bijon. In den letzten Jahren erschienen ca. 10 Bücher, darunter: FRIDO, Shortstories; INDIEN eine Weltmacht, Sachbuch; AYSE, Lyrik; BERLIN-BOMBAY, Roman …
Du hast theinder.net mit wunderbaren Texten beschenkt, ironisch, bissig, einfühlsam, manchmal eindeutig zweideutig und manchmal habe ich den Text erst viel später verstanden und manchmal bin ich bis heute noch dabei. Mein persönlicher Lieblingstext war „Die Handtasche“, darf ich gestehen…
(lacht) …danke. Poesie meiner zahlreichen Vorbilder, Goethe über Balzac bis Tagore, war mein wichtigstes Mittel, um die Vielschichtig- und Mannigfaltigkeit der Welt zu erschließen und goutieren. Das drückt sich eventuell in meinem Schreiben aus.
Das ist durchaus möglich. Wie bist Du damals auf theinder.net aufmerksam geworden und warum hast Du zugestimmt, Texte für uns zu schreiben? Anderes zu tun hast Du doch sicherlich genug.
Das seriöse Portal vermittelte mir den Eindruck, die einzige, umfangreiche Kulturbrücke zwischen Indien und Deutschland zu werden. Deshalb fand ich angemessen, das Projekt zu fördern.
Wir haben in einem früheren Videointerview über Rassismus gesprochen und Du hattest gesagt, dass sich „die Gesellschaft mit demokratischen Mitteln stark wehren müsse“. Rechtsruck, Antidemokratie und Rassismus nehmen jedoch weiter zu, hat die Gesellschaft versagt? Warum sitzt die AfD prominent im Bundestag? Sie kommt ja nur durch Wahl dort hinein.
Rechtsextremismus in Deutschland ist äußerst komplex und hängt von zahlreichen geschichtlichen, kulturellen, wirtschaftlichen … geopolitischen Faktoren ab. Die Verbreitung demokratischer Werte tragen zur gewaltlosen Bekämpfung des Rechtsextremismus bei.
Hast Du selbst rassistische Erfahrungen gemacht und wie hast Du Dich verhalten?
Es könnte sein, dass meine Texte und Bücher weniger vom Mainstream promotet wurden und werden, u. a. auch weil ich kein Deutscher bin. Jedoch habe ich weiterhin viel Freude an meiner Berufung als Schriftsteller. Meine innigsten Freunde sind wiederum die, deren Ahnen seit Generationen Deutsch sind: J. Suberg, M. Schweißinger, C. Temmler…
Wie würdest Du Deinen Bezug zu Indien heute umschreiben? Wie ist Dein Verhältnis zu Deutschland?
Indien steht mir derzeit als ein ästhetischer Begriff vor Augen samt ihrer Farben, grandioser, klassischer Musikstücke und des gigantischen, poetischen Textschatzes. Deutschland bleibt weiterhin der Ort meiner künstlerischen Entfaltung, denn die Sprache deutscher Dichter, Heine, Kafka … Döblin, prägt weiterhin wesentlich mein Denken.
Erzähle uns von Deinen kommenden Projekten, was treibt Dich um?
Die ersten 50 Seiten des ägyptischen Romans „KAIROER GESCHICHTEN“ befinden sich mit dem Förderungsantrag beim Vorstand des Deutschen Literaturfonds in Darmstadt. Zum Plot: Der Buchhalter Jemal, Mitglied eines wohlhabenden Kairoer Familien-Clans, berichtet aus seinem Leben der 60er Jahre in Kairo, als die nationalistischen, stolzen Ägypter den gigantischen Staudamm „Assuan“ im großen Eifer bewerkstelligten. Seine zierliche, jedoch bodenständige Frau Selma aus einer Handwerkerfamilie, interessiert sich für die Frauenrolle während des ersten Ägyptischen Aufstands unter dem Britischem Protektorat. Der Staudamm, das in Entstehung befindliche Jahrhundertprojekt, wird regelmäßig von den indischen Ingenieuren besucht, die im gleichen Zeitabschnitt wiederum an der größten Talsperre Indiens arbeiten: „Bhakra Nangal“.
Wollen wir hoffen, dass die Förderung bewilligt wird. Alles Gute und danke für dieses Gespräch!
Weiterführende Links:
- „Der Abschied einer hübschen Piratin“, 2001
- „1942: Verlass Indien!“, 2003
- „Lotusblume“, 2003
- „Die Handtasche“, 2003
- „Zwei Desis erobern gemeinsam die deutschsprachige Literaturwelt“, 2005
- „Buchtipp – Indien: Eine Weltmacht mit inneren Schwächen“, 2012
- „Cricket-Stars & Cheerleading Girls“, 2013
- Video: „Wir müssen uns mit demokratischen Mitteln gegen Rassismus wehren“, 2015