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Sa, 21. Dezember, 2024
Start20 Jahre theinder.netRainer Hörig: "Ethnoportal ist ein scheußlicher Begriff!"

Rainer Hörig: „Ethnoportal ist ein scheußlicher Begriff!“

Foto: (c) Rainer Hörig

Rainer Hörig, Jg. 1956, ist Journalist und gefragter Indien-Experte. Kein Wunder, reiste der gebürtige Bonner doch nach dem Studium 1977 direkt nach Indien, das ihn von diesem Zeitpunkt an nicht mehr losließ. Seine Hochzeit mit einer indischen Frau und die Übersiedlung nach Pune sind Beweis genug. Rainer Hörig hat zahlreiche Berichte und Reportagen über Indien veröffentlicht und große Persönlichkeiten interviewt, so etwa den Dalai Lama oder Arundhati Roy. 2017 ist er zurück nach Deutschland gekehrt und Chefredakteur des Magazins MEINE WELT geworden. Ich musste diesen Menschen einfach interviewen.

Lieber Rainer, Du hast Dich in einer der letzten Ausgaben von MEINE WELT mit der 2. Generation und somit auch mit theinder.net beschäftigt. Doch vorweg bitte ein paar Worte zu Dir, Du bist Indienexperte und durch Deine zahlreichen journalistischen Beiträge sehr bekannt geworden – was hat Dich an Indien fasziniert?

Ein Europäer, der Indien besucht, lernt eine andere WELT kennen. Mich fasziniert die Vielfalt an Völkern und Kulturen, das bunte Treiben in den Bazaren, die lebendige Fülle der Natur, die Gastfreundschaft der Menschen. Vor vielen Jahren lud mich ein Taxifahrer in Mumbai zu einem Besuch seines Hauses ein. Er wohnte mit vier anderen Familienmitgliedern in einer 3 x 3 Meter großen Slumhütte. Und obwohl seine Familie zum Überleben nur das Allernötigste besaß, bot er mir stolz eine Tasse Tee an!

Du hast lange Jahre in Indien gelebt, wie war der Anfang in diesem Land für Dich? Wir sprechen hierzulande viel über Integration und auch Du musstest Dich als Deutscher in Indien integrieren, wie lautete Dein Rezept?

Die Offenheit und die Gastfreundschaft der Menschen haben mir die Integration leicht gemacht. Meiner indischen Frau verdanke ich einen problemlosen Zugang zu Verwandten und Freunden und manch guten Ratschlag. Mein forsches Interesse an den Mitbürgern und ihren Gewohnheiten half mir dabei, mich auf fremdartige Verhältnisse einzulassen. Natürlich habe ich auch Fehler gemacht, bin gelegentlich ins Fettnäpfchen getreten, aber das hat man mir großzügig verziehen – meistens. Ich wurde häufig mit „Sahib“ angesprochen, und das war mir stets sehr peinlich!

Ja, und nun bist Du wieder zurück in Deutschland, wie kam es dazu, wäre ein dauerhaftes Leben in Indien möglich gewesen?

Rund dreißig Jahre lang habe ich in Indien gelebt, und dieses tolle Land als meine Heimat betrachtet. Aber seit einigen Jahren schränkt eine chronische Krankheit meine Bewegungsfreiheit ein. Das politische Klima hat sich krass verändert. Heute ist die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt. Ich fühle mich nicht mehr frei, meine Meinung zu äußern und kritisch journalistisch zu arbeiten. Ein schmerzlicher Verlust!

Wie bist Du auf theinder.net aufmerksam geworden und wie hast Du das Portal als neutraler Beobachter empfunden? Wir wurden häufig als Ethnoportal bezeichnet. Wie findest Du diesen Begriff?

Scheußlich, denn es steckt eine abwertende Haltung dahinter. Ich empfinde die Seite als Inspiration, denn sie öffnet mir eine Welt, die mir bekannt ist, der ich jedoch im Alltag kaum begegne. Auf theinder.net kann ich mein geliebtes Indien auch in Deutschland erleben!

Du bist vor einiger Zeit Chefredakteur des bekannten Migrantenmagazins (darf man das so sagen?) „Meine Welt“ geworden. Was hat Dich dazu bewegt? Bitte stelle uns doch kurz dieses Magazin vor: Was sind Deine Ziele oder Impulse für die Zukunft?

Den Begriff „Migrantenmagazin“ empfinde ich auch nicht als sehr schmeichelhaft, denn er impliziert eine Abgrenzung, eine Distanzierung. Der Untertitel „Zeitschrift für deutsch-indischen Dialog“ passt da viel besser, aber er ist auch ein wenig umständlich. Meine persönliche Meinung: Wir sollten den Titel der Zeitschrift ändern in: „Unsere Welt“. Ich arbeite daran, die Zeitschrift zu einem Forum des Austausches zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft zu entwickeln und Toleranz und Verständnis zwischen Inder*innen und Deutschen zu fördern.

Dem fühlen wir uns sehr nahe und deckt sich auch mit den Zielen, die theinder.net verfolgt. In einem der letzten Hefte stand die 2. Generation im Fokus. Was unterscheidet die 2. Generation von der 1. Generation in diesem konkreten Fall, wie ändern sich deren Themen?

Sorry, das ist ein weites Thema! Ich fürchte, ich kann ihm im Rahmen dieses Interviews nicht gerecht werden. Wer mag, kann meinen Artikel auf der Webseite unserer Zeitschrift nachlesen: https://caritas.erzbistum-koeln.de/meine-welt/detail/Winter2019-2020br–InderKinder-Junge-indische-Diaspora-in-Deutschland-00001

Das habe ich befürchtet, doch danke für den wertvollen Link! Was jedoch können diese Generationen voneinander lernen?

Dass der Austausch zwischen diversen Kulturen viele spannende und bereichernde Erfahrungen bereit hält, solange er in gegenseitigen Respekt und mit Neugier und Sympathie geschieht.

Deine weisen Worte mögen dadurch begründet sein, dass Du viel in der Welt herumgekommen bist. Du hast zahlreiche Menschen, darunter auch prominente, interviewt. An welche erinnerst Du Dich besonders? Ich glaube der Dalai Lama war auch dabei…

Der Dalai Lama hat mich sehr beeindruckt, weil er die Welt mit Humor betrachtet und er in seinem Inneren ruht. Die Autorin Arundhati Roy hat mich mit ihren Büchern ins Innerste Indiens geführt. Aktivisten wie der kürzlich verstorbene Swami Agnivesh haben mich mit ihrem glühenden Engagement überzeugt. Eine existentiell wichtige Lektion hat mir ein Bauer vermittelt, dem ich während des Pilgerfestes Kumbh Mela am Ganges begegnete. Er nahm mich zur Seite und sagte: „Wissen Sie, es ist garnicht wichtig, welche Gottheit Sie oder ich verehren. Wichtig ist, dass wir überhaupt an Etwas glauben. Im Grunde sind doch alle Religionen gleich!“

Dieses Zitat gefällt mir. Du engagierst Dich politisch sehr stark, ich finde Deinen Einsatz für die Adivasis und Narmada sehr interessant, wofür hast Du Dich eingesetzt und was konntest Du erreichen?

Auch hier möchte ich es kurz halten: Ich hoffe, es ist mir ein Stückweit gelungen, Brücken zwischen Deutschland und Indien zu bauen. Die Bausteine bilden Artikel und Radiobeiträge, nachzulesen auf meiner Homepage: www.rainerhoerig.com

Danke für Deine Offenheit!

Bijon Chatterji
Bijon Chatterji
Bijon Chatterji (*1978) ist Mitbegründer und Chefredakteur von theinder.net. Er studierte Biologie in Braunschweig, promovierte, forschte und lehrte in Hannover. Heute ist er als Global Lead für ein Biotechnologieunternehmen tätig und verantwortet dort u.a. den Bereich Indien. Von 2012-16 war Bijon Mitglied der Auswahlkommission für das "Deutsch-Indische Klassenzimmer" (Robert Bosch Stiftung / Goethe-Institut). Seit 2018 ist er Mitorganisator des "Hanseatic India Colloquium" und nahm 2023 auf Einladung der Bundesintegrationsbeauftragten erstmals an Dialoggesprächen im Bundeskanzleramt teil.

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