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Indien impft!

Die indische Arzneimittelregulierungsbehörde Central Drugs Standard Control Organisation hat am 03.01.2021 die Notfallzulassung für zwei Covid-19 Impfstoffe bewilligt. Bei den Impfstoffen handelt es sich um den in Indien entwickelten Wirkstoff BBV152, besser bekannt als „Covaxin“, und den von der Universität Oxford und dem britisch-schwedischen Arzneimittelkonzern AstraZeneca entwickelten Wirkstoff AZD-1222 alias „Covishield“.
Für den russischen Impfstoff Sputnik V sowie den deutsch-amerikanischen mRNA Impfstoff BNT162b2 („Comirnaty“) von Pfizer und Biontech steht die Zulassung derweil noch aus.

Erster indischer Corona-Impfstoff

Covaxin wurde von der Firma Bharat Biotech aus Hyderabad im Bundesstaat Telangana mit Hilfe des staatlichen Indian Council of Medical Research entwickelt. Es ist der erste vollständig in Indien entwickelte Corona-Impfstoff. Es handelt sich hierbei um einen Totimpfstoff, der aus dem inaktivierten Pathogen besteht, das sich nicht mehr vermehren kann. Das Immunsystem erkennt das Pathogen und kann somit eine Immunantwort bilden.

Covaxin wird in zwei Dosen verabreicht und muss zuvor bei Temperaturen von 2–8 °C gelagert werden.

Zum Vergleich: Der in Deutschland entwickelte Pfizer-Biontech Impfstoff muss bei -70°C gelagert werden und ist daher für infrastrukturschwache Länder wie Indien eher ungeeignet, verfügt jedoch über eine hohe Schutzwirkung von über 90%. Bei diesem Vakzin wird mittels mRNA (messenger-RNA, Boten-RNA) quasi der „Bauplan“ für das Spike-Protein in die menschliche Zelle eingeschleust, mit dem das SARS-Coronavirus 2 an die menschliche Zelle andockt, um sich dann in ihr vermehren zu können. Die mRNA wird in der Zelle des Geimpften abgelesen. Sie produziert daraufhin das Protein des Erregers, was zu einer Antwort des Immunsystems führt.

Über die Schutzwirkung von Covaxin ist indes nichts bekannt. Bisher hat das Präparat die ersten beiden klinischen Testphasen durchlaufen, an denen 800 Menschen teilgenommen haben sollen. Derzeit läuft die dritte Testphase, im Zuge derer bereits über 22.000 von 25.800 Menschen geimpft worden sein sollen. 

Laut Venugopal Somani, dem Leiter der Zulassungsbehörde, sei der indische Impfstoff sicher. Daran gibt es jedoch aufgrund der wenigen verfügbaren Daten aus den klinischen Studien inklusive Nebenwirkungen Zweifel seitens Experten und politischer Opposition. Der Zulassungsprozess sei intransparent und es stünden keine Daten für einen Peer-Review, also eine Begutachtung der Daten durch neutrale Wissenschaftler, zur Verfügung.

Der Direktor des All India Institute of Medical Sciences, Dr. Randeep Guleria, beschwichtigte jedoch, der indische Impfstoff sei zunächst lediglich als Reserve für den Notfall gedacht und komme nur zum Einsatz, sollte die Zahl der Infizierten plötzlich rapide ansteigen oder sich das AstraZeneca Präparat als nicht ausreichend wirksam erweisen. 

Der Preis für eine Dosis Covaxin könnte Schätzungen zufolge für die indische Regierung bei unter 100 Rupien (etwa 1 Euro) liegen.

AstraZeneca Impfstoff: Günstig und praktikabel

Der AstraZeneca Impfstoff, der in Indien Covishield genannt wird, wird vom Privatunternehmen Serum Institute of India, dem größten Impfstoffproduzenten der Welt, in Pune, Maharashtra, hergestellt.

Covishield ist ein Vektor-Impfstoff basierend auf einem gewöhnlichen Schimpansen-Adenovirus, welches so modifiziert wurde, dass es das genetische Material des SARS-CoV-2 Spike-Proteins enthält, mit dem das Virus an die menschliche Zelle andockt. Dadurch ist das Immunsystem in der Lage, das SARS-Coronavirus 2 zu erkennen und darauf zu antworten.

Auch dieser Impfstoff wird in zwei Dosen verabreicht und kann bei 2-8°C gelagert werden. Er ist bereits in Großbritannien zugelassen und soll eine Schutzwirkung von über 70% aufweisen. Der Preis pro Dosis soll für die ersten 100 Millionen bei 200 Rupien (ca. 2 Euro) liegen.

Größtes staatliches Impfprogramm der Welt

Damit ist der Weg frei für das größte staatliche Corona-Impfprogramm der Welt, das innerhalb der nächsten zehn Tage beginnen soll. Medienangaben zufolge ist bereits in allen indischen Bundesstaaten das Prozedere in Testdurchgängen geübt worden. 

Serum Institute of India soll bereits 50 Millionen Dosen des AstraZeneca Präparates auf Lager haben. Bis August sollen 300 Mio. Inder geimpft werden, vor allem Menschen aus den Risikogruppen und solche, die im Gesundheitswesen, bei der Polizei oder beim Militär beschäftigt sind.

Die Infrastruktur dafür liegt in dem zweitbevölkerungsreichsten Land der Erde bereits vor. Nicht nur, dass es über die größten Produktionskapazitäten verfügt, es gibt auch eine jahrzehntelange Erfahrung mit Impfprogrammen jeglicher Art, im Zuge derer in Indien jährlich 390 Millionen Dosen an 55 Millionen Menschen verimpft werden. Entsprechende Logistik und Kühlketten, sowie ein digitales Logistiksystem sind folglich auch in ländlichen Regionen vorhanden. Dabei arbeiten staatliche Behörden eng mit NGOs (nichtstaatlichen Organisationen) zusammen. 

Die bisherigen Impfprogramme richten sich jedoch vornehmlich an Kinder. Alle Erwachsenen des Landes zu erfassen und durchzuimpfen ist daher eine beispiellose Herausforderung, bei der auch die Erfahrung mit der Organisation der weltweit größten demokratischen Wahl ein Vorteil für Indien sein könnte. Außerdem ist jede erwachsene Inder*in in der größten biometrischen Bürgerdatenbank der Welt, Aadhaar, registriert – auch dies könnte hilfreich sein.

Als problematisch dürften sich Personalengpässe im chronisch unterfinanzierten staatlichen Gesundheitswesen erweisen. Denn neben der gigantischen Corona-Impf-Maschinerie müssen auch die regulären Impfprogramme sowie der reguläre Gesundheits-Betrieb aufrecht erhalten werden. 

Inwieweit da der riesige leistungsstarke aber profitorientierte private Gesundheitssektor eine Rolle spielen wird, bleibt abzuwarten. 

Korruption und mediale Verzerrung

Bei Verteilung und Priorisierung dürfte im Hinblick auf die Corona-Impfungen erfahrungsgemäß die in Indien weit verbreitete Korruption eine entscheidende Rolle spielen. Gutsituierte Teile der Bevölkerung sowie Menschen aus Beamtenapparat und Politik werden höchstwahrscheinlich versuchen, sich Vorteile zu verschaffen, wodurch insbesondere die Landbevölkerung und die Armen leer auszugehen drohen. Ebenso könnten gefälschte Präparate in Umlauf gebracht werden, mit denen windige Geschäftsleute in einem medizinisch unterversorgten und wenig aufgeklärten Land wie Indien eine lukrative Chance auf Profit wittern dürften.

Eine weitere Gefahr besteht in der Verzerrung der Umstände durch die Regierung, die im Sinne einer raschen wirtschaftlichen Erholung geneigt sein könnte, die Zahl der Geimpften und den Erfolg der Kampagne zu beschönigen. Denn das größte Corona-Impfprogramm der Welt ist eine willkommene Gelegenheit für die notorisch unter Minderwertigkeitskomplexen leidende national-autoritäre Regierungspartei BJP (Bharatiya Janata Party, Indische Volkspartei), sich mit den Kapazitäten und organisatorischen Fähigkeiten Indiens vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu profilieren. Der intransparente Umgang mit dem indischen Impfstoff Covaxin könnte ein Hinweis auf diesen PR-Ansatz der Regierung sein, bei dem Effekthascherei eine große Rolle spielt.

Impfstoff-Diplomatie?

Der globale Süden, aber langfristig wohl auch der Rest der Welt, wird auf die Produktionskapazitäten Indiens angewiesen sein, um letztendlich die Mehrheit der Weltbevölkerung mit einem Impfstoff zu versorgen.

Laut Adar Poonawalla, Chef des Serum Institute of India, beinhalte die Notfallzulassung keine Möglichkeit zum Export des Impfstoffes. Indien wird also zunächst Impfstoffe hamstern, um die eigene Bevölkerung zu versehen. 

Werden also andere Länder des Südens, inklusive der direkten Nachbarn Indiens wie Bangladesh, Nepal oder auch Sri Lanka und Pakistan leer ausgehen? Oder wird Indien seine Impfstoff-Herstellungskapazitäten nutzen, um mithilfe einer klugen Impfstoff-Diplomatie in Sachen Einfluss in Südasien gegenüber China Boden gutzumachen?

Quellen:

The Hindu
https://www.thehindu.com/news/national/worlds-biggest-covid-19-vaccination-programme-set-to-begin-in-india-pm/article33491783.ece?homepage=true

BBC
https://www.bbc.com/news/world-asia-india-55526123
https://www.bbc.com/news/world-asia-india-55048925

Tagesschau
https://www.tagesschau.de/ausland/indien-covaxin-zweifel-101.html
https://www.tagesschau.de/ausland/indien-impfstoffe-101.html

Livemint
https://www.livemint.com/science/health/covishield-and-covaxin-against-covid-19-all-you-need-to-know-about-the-vaccines-11609737696608.html

Scroll.in
@scroll_in Instagram
https://scroll.in/latest/983032/covid-19-serum-vaccine-to-be-used-in-first-phase-bharat-biotech-shot-back-up-says-aiims-director

Hindustan Times
https://www.hindustantimes.com/india-news/sc-hears-plea-seeking-prevention-of-circulation-of-fake-covid-19-vaccine/story-REVLKsExXjSctdPArzM5BJ.html

Pharmazeutische Zeitung
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/wie-funktionieren-mrna-impfstoffe-121742/

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