Subhas Chandra Bose gilt als das militante Gegenstück zu Mahatma Gandhis gewaltlosem Widerstand im Kampf um Indiens Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft. Während Gandhi auf zivilen Ungehorsam setzte, wählte Bose den Weg des militärischen Widerstands. Sein Bündnis mit den Nationalsozialisten unter Adolf Hitler und die Gründung der „Legion Freies Indien“ sorgen bis heute für erhebliche Kontroversen um seine Person. Auch sein Verhältnis zum Hindunationalismus steht im Fokus vieler Debatten.
Ein Artikel von Akshay Chavan auf Peepultree beleuchtet die komplexe und vielschichtige Beziehung zwischen Bose und der hindu-nationalistischen Bewegung, insbesondere im Kontext seiner Interaktionen mit führenden Persönlichkeiten wie Shyama Prasad Mookerjee und Vinayak Damodar Savarkar. Diese Beziehung war von Widersprüchen und Spannungen geprägt, die sich besonders in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren manifestierten.
So kam es im März 1940 in Kalkutta zu einem gewaltsamen Zwischenfall, bei dem Anhänger von Bose Shyama Prasad Mookerjee, einem führenden Mitglied der Hindu Mahasabha, einer hindunationalistischen Partei, die sich vom Indischen Nationalkongress, dem Bose angehörte, abgewendet hatte, angriffen. Dieser Vorfall spiegelte die tiefen politischen Differenzen zwischen den beiden Anführern wider, die jedoch auf eine gemeinsame Geschichte zurückblicken. Obwohl Bose und Mookerjee ursprünglich an einem Bündnis zwischen der Kongresspartei und der Hindu Mahasabha für die anstehenden Wahlen zum Stadtrat von Kalkutta arbeiteten, scheiterte diese Zusammenarbeit schnell aufgrund unvereinbarer Differenzen bei der Aufstellung der Kandidaten. In der Folge kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern beider Lager, wobei Bose die Hindu Mahasabha öffentlich scharf kritisierte und ihre Politik als spalterisch und schädlich für das indische Nationalbewusstsein verurteilte.
Chavan schreibt, Bose sei ein überzeugter Sozialist gewesen und lehnte jegliche Form von „kommunaler Politik“ ab, die religiöse Unterschiede in den Vordergrund stellte. Er betonte in seiner Autobiografie „An Indian Pilgrim“, dass die indische Geschichte nicht als eine Abfolge muslimischer oder hinduistischer Herrschaftsperioden verstanden werden sollte, sondern vielmehr als eine Geschichte, in der Hindus und Muslime gemeinsam in der Verwaltung und im Militär arbeiteten. Diese Sichtweise stand in direktem Widerspruch zur Ideologie der Hindu Mahasabha, die auf einer klaren Unterscheidung zwischen Hindus und Muslimen bestand und die Interessen der Hindus in den Vordergrund stellte. Dennoch pflegte Bose trotz seiner ideologischen Differenzen einen respektvollen Umgang mit Savarkar und Mookerjee. Als Savarkar, Erfinder der hindunationalistischen politischen Ideologie „Hindutva“, dem die RSS und die BJP bis heute folgen, 1937 aus der Haft entlassen wurde, begrüßte Bose ihn öffentlich und hoffte, dass Savarkar sich der Kongresspartei anschließen würde. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht, da Savarkar sich entschloss, seine politische Arbeit in der Hindu Mahasabha fortzusetzen, was zu einer weiteren Entfremdung zwischen den beiden führte.
Ein weiterer Punkt der Auseinandersetzung ergab sich 1938, als Bose als Vorsitzender des Indischen Nationalkongresses erklärte, dass nur der Kongress das Recht habe, die Interessen aller Inder zu vertreten. Savarkar widersprach dieser Ansicht vehement und betonte, dass nur die Hindu Mahasabha die Interessen der Hindus adäquat vertreten könne. Diese Differenzen eskalierten Ende 1939, als Savarkar versuchte, die Hindu Mahasabha in Bengalen zu stärken, was von Bose entschieden abgelehnt wurde. Bose warf der Mahasabha vor, durch ihre Betonung religiöser Unterschiede den nationalen Zusammenhalt Indiens zu unterminieren.
Ironischerweise kam es trotz dieser Differenzen im März 1940 zu einem Bündnis zwischen der Bengalischen Provinzialkongresspartei und der Hindu Mahasabha, das jedoch nach nur einer Woche scheiterte. Dieser gescheiterte Versuch eines Bündnisses führte zu weiteren Konflikten, wobei Bose und seine Anhänger die Mahasabha weiterhin heftig attackierten. Dennoch gelang es der Hindu Mahasabha, bei den Kommunalwahlen in Kalkutta Erfolge zu erzielen, was die Spannungen zwischen beiden Lagern weiter verschärfte.
Ein überraschender Wendepunkt in Boses politischer Karriere war das Bündnis, das er im April 1940 mit der Muslimliga einging, um die Verwaltung der Stadt Kalkutta zu kontrollieren. Dieses Bündnis, bekannt als „Bose-League-Pakt“, war ein Schock für die Hindu Mahasabha und führte zu heftiger Kritik sowohl vonseiten der hindu-nationalistischen Organisationen als auch von großen Teilen der indischen Presse. In einer ironischen Wendung kritisierte Bose jedoch nur einen Monat später sowohl die Hindu Mahasabha als auch die Muslimliga und warf beiden vor, durch ihre religiöse Rhetorik die Einheit Indiens zu gefährden. In einer Rede verurteilte Bose die Hindu Mahasabha als Verräter, die die Religion für politische Zwecke missbrauchen würden.
Trotz dieser harschen Worte blieben der gegenseitige Respekt und die Anerkennung der Beiträge des jeweils anderen zur indischen Unabhängigkeitsbewegung bestehen. Vor seiner Flucht nach Afghanistan und Deutschland traf Bose 1940 Savarkar und zeigte sich enttäuscht darüber, dass Savarkar sich mehr auf die militärische Ausbildung von Hindus im Rahmen der britischen Armee konzentrierte, als die internationale Lage in den Blick zu nehmen. Savarkar wiederum erkannte später in einem Interview die Rolle von Boses Indischer Nationalarmee als einen wichtigen Faktor für Indiens Unabhängigkeit an. Auch Mookerjees Biograf Balraj Madhok hob die gegenseitige Wertschätzung zwischen Bose und Mookerjee trotz ihrer politischen Differenzen hervor.
Chavans Artikel verdeutlicht zwar, dass die Beziehung zwischen Subhas Chandra Bose und der hindu-nationalistischen Bewegung nicht einfach in Begriffe wie „pro“ oder „anti“ gefasst werden könne; vielmehr war sie von tiefgreifenden Widersprüchen und gleichzeitigem Respekt geprägt, was sie zu einem komplexen Kapitel in der Geschichte des indischen Freiheitskampfes macht.
Es ist unbestreitbar, dass Bose ein überzeugter Hindu war und stark von seiner hinduistischen Kultur geprägt wurde. Wie bereits erwähnt, zeigte er Respekt gegenüber Hindutva-Führern und war bereit, taktische Bündnisse mit hindu-nationalistischen Gruppen einzugehen. Bose erkannte die Bedeutung hinduistischer Traditionen für den indischen Nationalismus an. Chavan betont, dass die politische Realität jener Zeit vielschichtig war und einfache Kategorisierungen dieser Komplexität nicht gerecht werden. Die Kritik an Boses Verhältnis zum Hindunationalismus bleibt jedoch berechtigt, insbesondere da heutige Hindunationalisten in Indien ihn für ihre Zwecke instrumentalisieren („Netaji Subhas Chandra Bose is indeed the most perfect Karma Yogi and an ardent follower of Hindutva without any duplicity or the fake shield of Secularism“).
Quellen:
- Netaji & Hindu Nationalism: A Complicated Relationship (peepultree.world)
- Replug: Netaji Wasn’t a Friend of Hindutva, But its Adversary | NewsClick
- Appropriating Subhas Chandra Bose: Equally Critical Of Both Muslim And Hindu Communal Streams – OpEd – Eurasia Review
- The Hindutva Legacy of Netaji Subhas Chandra Bose. | Struggle for Hindu Existence
Foto: Gandhi und Bose, 1938, Urheber unbekannt, gemeinfrei