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Sa, 21. Dezember, 2024
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Buchrezension: „Antichristie“ von Mithu Sanyal

Antichristie von Mithu Sanyal ist ein Roman, der meisterhaft historische Ereignisse, Zeitreisen und die Dekonstruktion von kolonialen Narrativen miteinander verwebt. Im Zentrum steht Durga, eine deutsche Drehbuchautorin mit indischen Wurzeln, deren Leben sich schlagartig verändert, als sie die Asche ihrer Mutter verstreuen will – doch ein Windstoß wirbelt diese zurück in ihr Gesicht. Dieses surreale Ereignis ist der Auftakt zu einer vielschichtigen Geschichte, die Vergangenheit und Gegenwart in überraschender Weise miteinander verbindet.

Durga wird nach London eingeladen, um an einem Workshop zur Neuinterpretation von Agatha Christies Werken teilzunehmen, die aus einer feministischen und antirassistischen Perspektive neu gedacht werden sollen. Doch das Projekt stößt auf Widerstand, und als die Queen stirbt, geschehen seltsame Dinge: Durga erhält Nachrichten aus dem Jenseits und wird plötzlich in die Vergangenheit katapultiert. Sie findet sich im Jahr 1906 wieder – und zwar im Körper eines jungen indischen Mannes, Sanjeev, der in die Kreise der indischen Unabhängigkeitskämpfer um Vinayak Savarkar gerät. Dieser wird später eine zentrale Figur des radikalen Hindu-Nationalismus und ist in seiner Darstellung ebenso faszinierend wie erschreckend.

Sanyal gelingt es, in ihrem Roman historische Fakten und Popkultur mühelos zu verknüpfen. So treten Figuren wie Sherlock Holmes auf, während Durga/Sanjeev sich in einem gefährlichen Netz von politischen Intrigen wiederfindet. Der Roman stellt eine faszinierende Auseinandersetzung mit der indischen Unabhängigkeitsbewegung dar und hinterfragt gleichzeitig die westliche Ignoranz gegenüber dieser Geschichte. Die historische Dimension wird dabei durch humorvolle und manchmal fast surreale Elemente aufgelockert, was dem Roman eine besondere Dynamik verleiht.

Die Themen, die Sanyal aufgreift, sind komplex: Kolonialismus, Rassismus, Geschlecht und Identität spielen eine zentrale Rolle. Durch den Perspektivwechsel, den Durga als Sanjeev erlebt, werden diese Themen auf eine sehr persönliche und körperliche Weise erfahrbar gemacht. Die Zeitreise selbst wird dabei nicht nur als literarisches Mittel genutzt, sondern als Möglichkeit, die Grenzen von Geschichte und Erinnerung zu hinterfragen.

Allerdings kann die Fülle an historischen Details und kulturellen Anspielungen überwältigend wirken. Sanyal hat sorgfältig recherchiert und lässt diese Erkenntnisse in die Handlung einfließen, was manchmal etwas belehrend wirken kann. Trotz dieser Überfrachtung bleibt Antichristie ein packendes und unterhaltsames Leseerlebnis, das die Leserinnen und Leser herausfordert, ihre eigenen Vorstellungen von Geschichte und Identität zu überdenken.

Mit Witz und Tiefgang erschafft Sanyal eine vielschichtige Erzählung, die über die klassische Romanstruktur hinausgeht. Die Verbindung von historischen und fiktiven Elementen, die kritische Auseinandersetzung mit kolonialen Verbrechen und die humorvolle Dekonstruktion von Popkultur machen Antichristie zu einem spannenden und originellen Werk. Es ist ein Roman, der zum Nachdenken anregt und gleichzeitig mit unerwarteten Wendungen und originellen Einfällen unterhält.

Tina Singh
Tina Singh
Tina schrieb ihren ersten Artikel für theinder.net bereits 2005 und interessiert sich für gesellschaftliche Themen, Musik und Reisen. Heute ist sie im Touristikbereich tätig.

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