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Die Thugs, auch als „Würger“ bekannt, waren eine der berüchtigtsten Verbrechersektengruppen in der Geschichte Indiens, deren Ursprung bis in das antike Indien zurückreicht. Ihre Aktivität und Grausamkeit, die über Jahrhunderte hinweg unentdeckt blieb, haben einen düsteren Schatten auf die Geschichte des Subkontinents geworfen.
Die Ursprünge der Thugs lassen sich bis in das 14. Jahrhundert zurückverfolgen, wobei ihre Aktivitäten im 18. und 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichten. Die Thugs betrachteten sich selbst als Anhänger eines kultischen Glaubens, der tief in der hinduistischen Mythologie verwurzelt war. Sie waren überzeugt, dass ihre Morde als Opfergaben an die Göttin Kali dienten. Kali, die Göttin des Todes und der Zerstörung, sollte durch das Opfer von Menschenleben versöhnt werden. Die Thugs wählten ihre Opfer – meist Reisende, die sie auf abgelegenen Straßen oder in entlegenen Gebieten antrafen – mit großer Präzision aus und führten die Tötung nach einem festgelegten Ritual aus. Besonders auffällig war, dass sie ihre Opfer nicht mit Waffen erschlugen, sondern sie mit einem speziellen Bandana, das sie um den Hals ihrer Opfer zogen, erstickten. Diese Methode war in den meisten Fällen effektiv und hinterließ keine sichtbaren Wunden, was es den Thugs ermöglichte, ihre Taten über einen langen Zeitraum hinweg zu verbergen.
Die Thugs hielten es für einen Akt der Reinheit, das Blut ihrer Opfer nicht zu vergießen, da sie glaubten, dass Kali das Blutvergießen verabscheue. Stattdessen nahmen sie die Leben ihrer Opfer in einer Art ritueller Stille, was ihnen die Anonymität ermöglichte, die sie für ihre verbrecherischen Aktivitäten benötigten. Dabei arbeiteten sie oft in Gruppen und gingen wie eine gut organisierte, aber geheim gehaltene Gemeinschaft vor.
Im 18. und frühen 19. Jahrhundert, besonders zwischen den 1700er Jahren und den 1830er Jahren, breiteten sich die Thugs immer weiter aus. Ihre Organisation war streng hierarchisch und gut organisiert. Sie rekrutierten sich oft aus den unteren Kasten der Gesellschaft und schlossen ihre Mitglieder in strenge Geheimhaltung. Zu ihren Mitteln zählten auch die sogenannte „Täuschung“, indem sie sich als normale Reisende oder Händler ausgaben, um das Vertrauen ihrer Opfer zu gewinnen.
Ihr Einfluss erstreckte sich über weite Teile Indiens, wobei sie insbesondere auf den Handelsrouten der damaligen Zeit, wie den Straßen zwischen Nord- und Südinien, aktiv waren. Da sie stets in Bewegung waren und ein starkes Netz an Verbindungen hatten, konnten sie ihre Morde immer wieder verbergen, ohne dass die Polizei oder andere autoritäre Instanzen sie entdeckten.
Im 19. Jahrhundert begannen die britischen Kolonialbehörden, die Aktivitäten der Thugs ernsthaft zu bekämpfen. Der britische Kolonialbeamte William Henry Sleeman, der als einer der ersten die Existenz und die Ausmaße der Verbrechersekte erkannte, leitete eine Reihe von umfassenden Ermittlungen, die zur systematischen Zerschlagung der Thuggee führten. Sleeman, der 1810 nach Indien kam, hatte einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Thugs geleistet. Er begann damit, ihre Vorgehensweisen zu untersuchen und nutzte erstmals eine umfassende Sammlung von Informationen, die durch geheime Ermittlungen und Verhörmethoden gewonnen wurden.
Sleeman setzte moderne ermittlungstechnische Methoden ein, die weit über das hinausgingen, was zu dieser Zeit in Indien üblich war. Besonders bemerkenswert war seine Fähigkeit, Netzwerke von Thugs zu infiltrieren und die geheimen Codes und Symbole, die die Gruppe benutzte, zu entschlüsseln. Unter Sleemans Führung wurde die britische Kolonialarmee aktiv und begann, Thugs zu fangen, zu verhören und zu verhaften, was schließlich zur Zerschlagung der Thuggee führte. 1830 wurde die erste größere Strafverfolgungsmaßnahme gegen die Thugs eingeleitet, als Sleeman die ersten Massenverhaftungen durchführte. Die umfangreiche Jagd auf die Thugs wurde jedoch erst 1840 mit einer Verordnung abgeschlossen, die die vollständige Zerschlagung der Thuggee-Gruppen zum Ziel hatte.
Der Untergang der Thugs begann, als die britischen Kolonialbehörden mit rigorosen Methoden die Strukturen der Gruppe zerschlugen. Tausende von Thugs wurden festgenommen, viele wurden verurteilt und auf die Strafgefangeneninseln verbannt. Der letzte bekannte große Prozess gegen die Thugs fand 1850 statt. Nachdem die britischen Behörden ihre Netzwerke zerschlagen hatten, fand die Thuggee ihren offiziellen Abschluss, auch wenn kleinere Gruppen vereinzelt bis in die 1870er Jahre noch tätig waren. Die letzte Festnahme eines aktiven Thugs erfolgte 1870.
Auch wenn die Thugs im 19. Jahrhundert weitgehend unterdrückt wurden, lebt der Begriff „Thug“ heute in der englischen Sprache weiter. Der Ausdruck hat sich zu einem allgemeinen Begriff für einen Kriminellen oder Gangster entwickelt. Interessanterweise ist die moderne Bedeutung des Begriffs sehr weit von der ursprünglichen, religiösen Motivation der Thugs entfernt. In vielen westlichen Kulturen wird „Thug“ heute als Synonym für einen gewalttätigen Straftäter verwendet, unabhängig von der kulturellen oder historischen Herkunft.
Die Geschichte der Thugs hat einen bleibenden Einfluss auf die Gesellschaften, in denen sie operierten. In Indien wird die Erinnerung an die Thugs in Form von Legenden und Erzählungen wachgehalten. Die britische Bekämpfung der Thugs hat zudem zur Entwicklung von modernen Polizeitechniken und Geheimdienstmethoden beigetragen. Die Geschichte der Thugs regt weiterhin zu Diskussionen über die Verbindungen zwischen religiösem Fanatismus, Kriminalität und Gesellschaft an.
Die Thugs waren mehr als nur eine Gruppe von Verbrechern. Sie waren Teil eines kulturellen und religiösen Phänomens, das tief in den Traditionen und dem Glauben des alten Indiens verwurzelt war. Ihre rituellen Morde, ihre geheimen Netzwerke und ihre religiösen Überzeugungen machten sie zu einer der mysteriösesten und faszinierendsten Verbrechersektengruppen der Weltgeschichte. Der britische Kampf gegen die Thugs endete schließlich 1870 mit ihrer vollständigen Zerschlagung. Doch auch in der heutigen Zeit hat der Begriff „Thug“ seine Bedeutung verändert und steht nun für ein viel breiteres Spektrum von Kriminalität. Die Geschichte der Thugs bleibt ein bleibendes Zeugnis für die dunklen Seiten der menschlichen Psyche und der Verbindung von Gewalt und Glauben.