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Mi., 2. April, 2025
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Indiens Immobilienrausch: Wohlstand auf Kosten der Armen

Der Artikel „Die Superreichen und die Angst in den Slums“ vom 2.12.2024 auf tagesschau.de bietet einen eindrucksvollen Einblick in die sozioökonomischen Spannungen, die in Indien durch den boomenden Immobilienmarkt und die immer weiter klaffende Kluft zwischen Arm und Reich entstehen. Was zunächst als eine Erfolgsgeschichte von unternehmerischem Mut und dem Aufstieg von Gautam Singhania, einem der prominentesten Multimilliardäre Indiens, erscheint, wirft bei näherer Betrachtung die Frage auf, auf welchem Preis dieser Erfolg erkauft wird.

Die Vorstellung, dass Investoren wie Singhania im Rekordtempo luxuriöse Wohnanlagen in einem der größten Slums der Welt hochziehen, während die dort lebenden Menschen keine Garantie für ein rechtmäßiges Zurückkehren haben, ist an sich schon erschreckend. Die Vorstellung von Dharavi als potenzieller Goldgrube für die Immobilienindustrie ist symptomatisch für eine Politik, die nicht auf langfristige soziale Gerechtigkeit, sondern auf schnelles Wachstum und Profitmaximierung setzt. Dabei wird oft vergessen, dass diese „Wachstumsprojekte“ auf dem Leid der Armen basieren. Es ist ein klarer Fall von Verdrängung: Wohlstand wird aus den Händen der Bedürftigen genommen, um den Reichen noch mehr zu ermöglichen. Das ständige Versprechen der Regierung und der Investoren, dass die Slumbewohner nach den Sanierungen wieder „nach Hause“ zurückkehren können, ist ebenso hohl wie zynisch, da es keinerlei rechtliche oder praktische Sicherheiten bietet.

Die Ängste der Menschen in Dharavi, wie sie in der Geschichte der Familie Jogu durchscheinen, sind mehr als berechtigt. Die Familie lebt nicht nur in einem physischen, sondern auch in einem sozialen Gefängnis, das durch Armut und eine fehlende politische Stimme verstärkt wird. Der Wunsch der Menschen nach Verbesserungen wie besseren Abwassersystemen oder sauberem Wasser ist keineswegs überzogen – es ist das grundlegende Recht auf ein menschenwürdiges Leben, das hier eingefordert wird. Der Drang der Slumbewohner, in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben, sollte nicht nur als Widerstand gegen Veränderung missverstanden werden, sondern als Streben nach einer besseren, gerechteren Lebensqualität in der eigenen Heimat.

Es wird deutlich, dass der Immobilienboom in Indien – wie auch in vielen anderen Ländern – nicht ohne seine Schattenseiten bleibt. Die Superreichen feiern ihren Erfolg und investieren weiter in luxuriöse Projekte, während die Armen zunehmend aus den städtischen Zentren verdrängt werden. Dieser ungebremste Kapitalismus führt zu einer zunehmend klaustrophobischen Realität für die Menschen, die am Rande der Städte leben. Der Reichtum der wenigen wird auf Kosten der vielen vergrößert – eine klassische Dynamik der sozialen Ungleichheit, die in Indien besonders ausgeprägt ist. Die steigende Konzentration des Wohlstands in den Händen einer kleinen Elite, die im Artikel erwähnt wird, lässt sich auch als Spiegelbild der globalen Ungleichheit betrachten, die in vielen aufstrebenden Volkswirtschaften zu beobachten ist. In einer Welt, in der Wohlstand immer weiter konzentriert wird, bleibt die Frage, wie nachhaltig dieser Erfolg ist, wenn er auf der Ungleichheit und der Ausbeutung von weniger privilegierten Schichten basiert.

In Bezug auf die Wohltätigkeitsprojekte der Superreichen, wie Singhanias Tempelbau, stellt sich die Frage, ob solche Investitionen tatsächlich den sozialen Wandel fördern oder nur als ein weiteres Mittel dienen, um sich selbst als gesellschaftlich verantwortungsbewusste Akteure darzustellen. Es ist bemerkenswert, wie diese philanthropischen Gesten oft als Rechtfertigung für das eigene Wohlstandswachstum genutzt werden. Ein Tempel mag für viele Gläubige von Bedeutung sein, aber es bleibt zu hinterfragen, ob diese Art von „Spende“ tatsächlich denjenigen zugutekommt, die am dringendsten Unterstützung benötigen.

Die Regierung von Narendra Modi trägt ebenfalls ihren Teil zu diesem System der Ungleichheit bei. Durch die Abschaffung der Vermögenssteuer und die Senkung der Unternehmenssteuern begünstigt sie die Reichen und entzieht den Armen die notwendigen Ressourcen, um ihre Lebenssituation nachhaltig zu verbessern. Diese politischen Maßnahmen fördern nicht nur die Kluft zwischen den sozialen Schichten, sondern auch eine falsche Vorstellung von „Wachstum“, das auf Ausbeutung und Verdrängung basiert.

Abschließend lässt sich sagen, dass der Artikel nicht nur die sozialen und ökonomischen Spannungen in Indien widerspiegelt, sondern auch ein größeres globales Problem anspricht: Die wachsende Ungleichheit in der Welt. Der Fokus auf Kapital und Luxuswohnungen, während die Bedürfnisse der Armen ignoriert werden, zeigt, wie tief diese Kluft in unserer modernen Gesellschaft verwurzelt ist. Es bleibt abzuwarten, ob Indien in der Lage sein wird, diesen Kurs zu ändern oder ob die Slumbewohner weiterhin Opfer einer überbordenden Urbanisierung und einer aus den Fugen geratenen sozialen Gerechtigkeit werden.

Weiterführender Link: Indien: Die Superreichen und die Angst in den Slums | tagesschau.de

Foto: (c) montager, flickr.com

Bijon Chatterji
Bijon Chatterji
Bijon Chatterji (*1978) ist Mitbegründer und Chefredakteur von theinder.net. Er studierte Biologie in Braunschweig, promovierte, forschte und lehrte in Hannover. Heute ist er als Global Lead für ein Biotechnologieunternehmen tätig und verantwortet dort u.a. den Bereich Indien. Von 2012-16 war Bijon Mitglied der Auswahlkommission für das "Deutsch-Indische Klassenzimmer" (Robert Bosch Stiftung / Goethe-Institut). Seit 2018 ist er Mitorganisator des "Hanseatic India Colloquium" und nahm 2023 auf Einladung der Bundesintegrationsbeauftragten erstmals an Dialoggesprächen im Bundeskanzleramt teil.

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