(von Julia T. Scho) In der bunten Märchenwelt von Bollywood spielen nicht nur farbenprächtige Gewänder, Musik, Tanz, Emotionen und viel Pathos eine wichtige Rolle, sondern auch die Männer und ihre Darstellung. Da gibt es den Patriarchen, der die Geschicke der Familie steuert, den weisen Großvater, den liebenden Sohn, den Macho oder das sinnliche Sexobjekt.
Die Konstruktionen von Männlichkeit im Bollywood Film sind mannigfaltig. Eben diesen unterschiedlichen Männerbildern hat Florian Krauß seine Diplomarbeit „Männerbilder im Bollywood-Film – Konstruktionen von Männlichkeit im Hindi-Kino“ gewidmet, die nun im Wissenschaftlichen Verlag Berlin erschienen ist.
Einführung in die Welt Bollywoods
Zu Beginn seiner Arbeit, die in erster Linie eine medienwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema ist, gibt Krauß zu bedenken, dass eine klare Einordnung des Männerbildes schwierig sein wird. Es scheint mehr als nur eine Schublade mit der Aufschrift Männlichkeit in Bollywood zu geben. Daher ist das Ziel seiner Arbeit: „Tendenzen für die Präsentation und Kodierung von Maskulinität im Hindi-Film auszumachen.“
Hierbei ist wichtig zu verstehen, dass die indische Gesellschaft andere Auffassungen von Geschlecht und Männlichkeit hat als die westliche Welt. Eine maßgebende Rolle bei der Konstruktion eines Männerbildes spielt auch die Interaktion mit anderen Figuren. Der Mann im Film wird erst zum Mann durch die Abgrenzung vom weiblichen Geschlecht. Ein weiterer Punkt ist die Starinszenierung, die auch zur Gestaltung des Männerbildes beiträgt. Es gibt also verschiedenen Lesarten von Männlichkeit innerhalb dieses Buches.
Im ersten Kapitel des Buches führt der Autor den Leser erst einmal in die Welt Bollywoods ein und macht deutlich, dass diese Filmlandschaft alles andere als einheitlich ist. Mit 800 produzierten Filmen im Jahr und einer enormen Sprachenvielfalt kann Bollywood kaum mit Hollywood verglichen werden. Charakteristika des Hindi-Kinos bleiben große Emotionen, viel Farbe, Musik und Tanz und eine gewisse Künstlichkeit, die inzwischen auch in Deutschland ihre Anhängerschaft gefunden hat. Daher ist Krauß Blickwinkel natürlich auch ein westlicher, der jedoch immer selbst reflexiv sein soll.
Die Männlichkeit
Bei der Betrachtung der Männerbilder geht es dem Autor um eine Verknüpfung von Kulturwissenschaft, Filmanalyse und der Genderforschung, wobei letzt genannte einen großen Platz einnimmt. Gender wird zu einem zentralen Code der Industriegesellschaft. Das meint, dass es auch jenseits des Films kulturelle Zeichen gibt, die als männlich oder weiblich aufgefasst werden. Bestimmte Geschlechtermerkmale werden den Menschen zugeschrieben. Im Bollywood-Film sind diese Merkmale allerdings keineswegs als starre Kategorien zu verstehen, vielmehr unterliegen sie einem Wandel und müssen auch im Kontext der unterschiedlichen Beziehungsgeflechte gesehen werden. Es geht darum: „Männlichkeit in Grenzen als Konstrukt zu entlarven.“
Männerbilder im Bollywood-Film
„Allgemein reproduziert das Bollywood-Kino patriarchale Gesellschaftsstrukturen.“ Dies zeigt sich vor allem an dem konservativen Frauenbild und den männlichen Stereotypen. In den so genannten „Family Films“, die der Autor bei seinen Betrachtungen in den Mittelpunkt rückt, ist der Vater stets das Familienoberhaupt, der Sohn hat eine privilegierte Stellung inne und die Frauen werden oft nur zur Nebenfigur oder zum Liebesobjekt. Der „Hindi-Mainstream“ neigt zur „Glorifizierung“ männlicher Macht, so der Autor. Dennoch gibt es trotz dieses starken Männerbildes Nuancen, die es im deutschen Kino so nicht gibt. Der Bollywood Held ist nicht nur Macho oder Liebhaber, sondern auch Muttersöhnchen und schämt sich seiner Gefühle nicht. Auch enge Männerfreundschaften, die sich eines Hauches an Homoerotik nicht erwehren können, sind fern ab von Bollywood eher selten. Gerade die schrillen Tanzszenen unterstreichen diese Beobachtung für den westlichen Zuschauer. So ist es nicht verwunderlich, dass am Ende des Bollywood Filmes oft die Hochzeit steht: „Über die finale Heirat des Helden vergewissern sich viele Werke ihrer Heterosexualität und damit einer bestimmten Art von Männlichkeit.“
Auch wenn das Bild von Männlichkeit in den Filmen durchaus variiert, wird Männlichkeit an vielen Stellen kreiert. Sei es durch optische Reize, wie die Zuschaustellung von Bizeps und Bauchmuskeln, die Macht ausstrahlen sollen, oder die westliche Kleidung die in Opposition zu der traditionellen Kleidung der Frau steht und ihre untergeordnete Stellung noch unterstreicht.
„In Folge lässt sich Bollywood weder auf die Formel reaktionäres „Rosamunde Pilcher in Curry“ reduzieren noch durchweg als progressives Medium der Moderne deuten.“
Florian Krauß liefert mit seinem wissenschaftlichen Buch „Männerbilder im Bollywood-Film“ ein hintergründig recherchiertes und pointiertes Werk zu einem bislang weniger beachteten Thema. Natürlich ist dies eine wissenschaftliche Betrachtung und kann daher weniger als populärwissenschaftlicher Kurztrip in die Männlichkeit des Bollywood Kinos gesehen werden. Daher ist der Genderdiskurs teilweise recht theoretisch und hätte mit ein paar mehr beispielhaften Szenen illustriert werden können.
Im Gespräch mit Autor Florian Krauß
theinder.net: An wen richtet sich das Buch?
Beim Schreiben hatte ich weniger eine bestimmte Zielgruppe im Auge. Das Buch ist eine wissenschaftliche, filmsoziologische Arbeit und wendet sich eher an ein Nischenpublikum. In erster Linie soll es die bislang sehr überschaubare und qualitativ heterogene Anzahl von deutschsprachigen Publikationen zum Bollywood-Kino erweitern. Eine Zielgruppe sind also Wissenschaftler/innen und Studierende, die sich mit Bollywood und/oder Männlichkeit im Film beschäftigen. Natürlich freue ich mich aber auch sehr, wenn das Buch Leser/innen aus dem nicht-akademischen Bereich findet.
theinder.net: Wie sind Sie auf die Idee für die Arbeit gekommen?
Ich wollte mich in meiner Diplomarbeit mit dem Bollywood-Kino befassen, was allein noch kein Thema darstellt. Folglich war es wichtig, eine Spezifizierung und einen bestimmten Zugang zu finden. Beim Sehen von Bollywood-Blockbustern mit Shah Rukh Khan ist mir immer wieder die Emotionalität der männlichen Helden aufgefallen, die vielleicht eine Differenzqualität gegenüber vielen Hollywoods Männerfiguren darstellt. Außerdem war das Thema für mich auch eine Möglichkeit, zwei Forschungsinteressen zu verfolgen: Bollywood und Genderforschung im Bezug auf das Medium Film.
theinder.net: Woher kommt Ihr Interesse für Bollywood/Indien?
Auslöser für das Interesse waren – wie bei vielen Fans – die ersten Bollywood-Filme, die in Deutschland im Kino liegen: „Lagaan“ und „Kabhi Khushi Kabhi Gham“. Ich war fasziniert von der Existenz einer Kino- und Populärkultur, die im Westen lange Zeit fast gar nicht wahrgenommen wurde, aber weltweit mehr Zuschauer erreicht als Hollywood. Außerdem wurde mein Interesse durch ein Seminar zum indischen Kino geweckt, das ich im Jahr 2002 an der Universität Mainz besuchte. Bollywood erschien mir von Beginn an als sehr vielschichtiger und komplexer Forschungsgegenstand.
theinder.net: Ist die Darstellung von Männlichkeit auch in Indien ein Thema?
Allgemein gibt es in „patriarchalen Gesellschaften“ wie Indien die Tendenz, Männlichkeit als natürlich aufzufassen und nicht näher zu problematisieren. Daher ist, so vermute ich, in Indien erst einmal Darstellungen von Weiblichkeit eher ein Thema. Zumindest auf den ersten Blick sind das ja auch die problematischeren Fälle. Als ich im Januar 2006 in Indien war, wurde zum Beispiel in einer englischsprachigen indischen Tageszeitung anlässlich des Films „15 Park Avenue“ über Vergewaltigungsszenen debattiert, die im Bollywood-Film eine gewisse Tradition haben und in denen immer die Frau das Opfer ist. Generell ist mein Eindruck, dass über die Repräsentation von Männlichkeit noch eher gesprochen wird, wenn es um queere Themen geht (etwa in Hinblick auf das Aids-Drama „My Brother Nikhil“). Sicherlich ist die Bedeutung von männlichen Filmstars sehr groß, aber sind Gespräche über Amitabh Bachchan etwa gleich Hinweise, dass die Darstellung von Männlichkeit ein Thema ist?