Urmila Goel, geb. 1970, lehrt und forscht an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Bereichen Europäische Ethnologie, Gender Studies und kritische Migrationsforschung. Die Kulturanthropologin habilitierte mit dieser Ethnografie über das Indernet an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Urmila kennt theinder.net bereits seit Beginn, u.a. organisierte sie das Jugendseminar indernet.de 2000 und traf die Macher von theinder.net dort erstmals. Der o.g. Ethnografie liegen umfangreiche Feldrecherchen in Form von Interviews ab 2004 zugrunde. Zur Veröffentlichung Ihres neuen Buches sprachen wir mit Ihr darüber.
Urmila, Du hast theinder.net von Beginn an wissenschaftlich begleitet, etwas später hast Du sogar eigene Forschungsprojekte betrieben und Dich letztlich zum Thema Indernet habilitiert – nachträglich auf diesem Wege unsere besten Glückwünsche. Warum das Indernet und nicht ein anderes Thema für die eigene Forschung und Habilitation?
Ich habe 1997/98 im Rahmen meines Masters an der School of Oriental and African Studies in London angefangen, mich wissenschaftlich mit Migration aus Südasien nach Deutschland zu beschäftigen. Als ich dann Anfang der 2000er beschlossen habe, ein Forschungsprojekt zu beantragen, bot sich das Indernet als Forschungsgegenstand an. Mich interessierte vor allem die zweite Generation und Forschung zu virtuellen Räumen gab es noch wenig. Geplant war erst nur ein zweijähriges Projekt. Am Ende der Förderzeit hatte ich dann ganz viel spannendes Material, aber hatte es nicht geschafft, ein Buch zu schreiben. Also begleitete mich das Projekt weiter. Da ich aber mit anderen Dingen mein Geld verdienen musste, kam ich nicht recht voran. 2011 habe ich dann beschlossen, mir die Zeit zu nehmen, endlich das Buch zu schreiben. Das war mir wichtig, weil ich das tolle Material hatte und auch etwas an die Interviewpartner_innen und die Community zurückgeben wollte. Primäres Ziel war also nicht die Habilitation, da ich auch gar nicht mehr an der Universität war. Ich dachte mir aber, wenn ich schon ein Buch schreibe, kann ich es auch als Habilitation einreichen. Und das hat dann nach nochmal sechs Jahren auch geklappt. Mein Ziel bleibt aber, dass das Buch auch außerhalb der Wissenschaft gelesen werden kann. Ich hoffe, dass das auch klappt.
Soweit meine persönliche Motivation. Es gibt aber natürlich auch eine wissenschaftliche Begründung, warum das Projekt sinnvoll war. Ich forsche im Bereich der kritischen Migrations- und Rassismusforschung. Da geht es unter anderem darum, zu untersuchen, wie natio-ethno-kulturelle Gruppen, um einen Begriff des Rassismusforschers Paul Mecheril zu übernehmen, hergestellt werden, wie Fragen von Zugehörigkeit und Erfahrungen von Ausgrenzung verhandelt werden. Für diese Fragen war das Indernet ein wunderbarer Ort, da dort so viele verschiedene Personen zusammengekommen sind, die sich alle irgendwie auf Indien bezogen haben. So konnte ich da verschiedene Prozesse der Aushandlung beobachten. Weil ich das Indernet seit 2000 beobachtet habe, ist die Arbeit zudem für die Internetforschung recht einmalig. Internetportale sind inzwischen Geschichte und ich biete eine internethistorische Analyse, die aufzeigt, wie das Zusammenspiel von Technik, Gesellschaft und Redaktion/Nutzer_innen langfristig funktioniert. Dabei war analytisch gerade auch der Umzug ins Web 2.0 spannend.
Nun wirst Du Dein opus magnum als Buch veröffentlichen, wann ist es denn soweit und welche Schwerpunkte wird das Buch setzen?
Das Buch ist gerade aus der Druckerei gekommen. Das E-Book wird Open Access erhältlich sein (beim transcript Verlag). Das heißt, jede kann es sich kostenlos runterladen.
Löblich…
Ja, das war mir wichtig, da mir mehr als 80 Menschen Interviews gegeben haben und ich möchte, dass sie Zugriff darauf haben, auch wenn ich keine Kontaktdaten von ihnen habe, und ich es mir nicht leisten könnte, jeder ein Papier-Buch zu schicken. Für das Papier-Buch konnte ich zwar einen vergleichsweise günstigen Preis aushandeln, aber es kostet halt.
Ich habe im Buch drei Mosaike gelegt bzw. drei Themen bearbeitet. Im ersten Mosaik arbeite ich heraus, wie das Indernet zu einem Raum der zweiten Generation werden konnte und das Gefühl von Gemeinschaft entstehen konnte. Da Zugehörigkeit aber immer auch bedeutet, dass anderes nicht dazugehört, beschäftige ich mich in diesem Mosaik auch damit, welche unbeabsichtigten Ausschlüsse es auf dem Indernet gab. Im zweiten Mosaik schaue ich mir dann das Internetportal als Raum genauer an. Ich argumentiere, dass es wie ein Gemeinschaftszentrum funktioniert hat, in dem es ganz unterschiedliche Angebote und Nutzungsweisen gab. Dabei führe ich die Leser_innen durch die verschiedenen Räume wie Rubriken, Foren, Gästebuch, Chat, etc. Im dritten Mosaik schreibe ich schließlich eine Geschichte das Indernets von seiner Gründung im Sommer 2000 bis zu seiner Präsenz im Web 2.0 im Jahr 2017.
Die ersten Jahre seit Gründung des Portals waren sicherlich die intensivsten. Wie hast Du den Prozess von der ersten Webseite bis zum Höhepunkt der Nutzeraktivitäten im Forum, Serverausfall und Blog und schließlich zum Status heute erlebt?
Das ist eine große Frage, die ich im Buch im dritten Mosaik auf gut 100 Seiten beantworte. Mal sehen, was ich in der Kürze antworten kann. Am intensivsten habe ich von 2004 bis 2007 geforscht und da auch die ganzen Interviews geführt. In meiner Beobachtung war das auch die Hochphase des Indernets, da war richtig Leben, ganz viel ist passiert und für viele Leute war das Indernet ein sehr wichtiger Ort. Auch Menschen aus der Community, die nicht das Indernet genutzt haben, kannten es. Von 2007 bis 2011 war das Portal für alte Hasen wie mich sehr langweilig. Nach dem Umzug zum Blog und Facebook 2011 gab es ein paar Phasen, wo viel passiert ist, aber insgesamt habe ich das Gefühl, dass das Indernet mir dort wenig zu bieten hat. Dass das Indernet so alt geworden ist und diverse Krisen überlebt hat, ist etwas Besonderes. Kein anderes Internetprojekt, dass ich beobachtet habe, hat das geschafft.
Wie Du sagtest, hast Du ab 2004 zahlreiche Interviews mit Nutzer/innen geführt, auch heute begegnest Du hin und wieder diesen Personen. Ist das Indernet noch präsent oder bereits vergessen? Wenn ja, woran liegt das, welche Funktion hatte es erfüllt? Hat es heute noch eine Funktion?
Vergessen ist es nicht, aber es spielt keine aktuelle Rolle mehr. Das Indernet gehört zur Vergangenheit, zur eigenen Jugend (wir sind ja alle älter geworden …) und ist für viele mit wichtigen Erinnerungen verbunden. Es haben sich auch Freundschaften, Beziehungen und Projekte aus dem Indernet ergeben. Insofern hat das Indernet Neues geschaffen. Ich habe aber, außer Euch in der Redaktion, in letzter Zeit niemanden getroffen, für die das Indernet heute noch wichtig ist.
Ich möchte drei Kernthemen aus Deinem Buch aufgreifen, vor allem, weil der Subtitel „Das Indernet – Eine rassismuskritische Internet-Ethnografie“ meines Erachtens irreführend sein kann und in mir negative Assoziationen ausgelöst hat. Kannst Du uns daher die Themen Rassismus sowie Hindunationalismus und Heteronormativität anhand des Portals und Deiner Untersuchungen kurz umreißen?
Wir haben da ja schon drüber gesprochen und ich weiß, dass Ihr nicht alles, was ich geschrieben habe, so unterschreiben würdet. Damit die Leser_innen das auch wissen, habe ich unser Gespräch über das Buch als Prolog vor meine Analyse gestellt.
Der Untertitel „Eine rassismuskritische Internet-Ethnografie“ verortet das Buch wissenschaftlich. Er sagt, dass es eine Ethnografie ist und damit aus dem Fach der Kultur- und Sozialanthropologie kommt, was mit einem bestimmten methodischen Zugang einhergeht. Er sagt außerdem, dass die Forschung im Internet gemacht wurde. Schließlich verortet er das Buch in der kritischen Rassismusforschung. Darüber hatte ich ja vorhin schon kurz was gesagt. In diesem wissenschaftlichen Feld geht es darum, sich mit Fragen von natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit auseinanderzusetzen. Die Grundannahme ist dabei, dass unsere Gesellschaft in ihren Strukturen rassistisch geprägt ist. Das heißt vereinfacht gesagt, dass zwischen Deutschen und Ausländer_innen/ Migrant_innen/ Inder_innen etc. unterschieden wird und davon ausgegangen wird, dass nur die Deutschen eigentlich zu Deutschland gehören. Das Indernet analysiere ich vor diesem Hintergrund und schaue mir an, wie Menschen, die als Inder_innen der zweiten Generation angesehen werden, mit dieser Zuschreibung umgehen.
Meine Auseinandersetzung mit Hindu-Nationalismus ist hiermit verbunden. Nationalismen machen Angebote für jene, die nach natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit suchen. Der Hindu-Nationalismus ist dabei besonders gut aufgestellt. Er hat ausdifferenzierte Strukturen, die bis nach Deutschland reichen und hier junge Menschen auf der Suche erreichen wollen. Da der Hindu-Nationalismus eine gewalttätige Ideologie ist, die für Pogrome gegen Muslim_innen, Morde an Dalits, Ausgrenzungen von Schwulen und Lesben und vielem mehr, verantwortlich ist, habe ich besonders aufgepasst, wenn hindu-nationalistische Motive auf dem Indernet aufgetaucht sind. Im Buch schreibe ich da vergleichsweise viel darüber, um besser zu verstehen, wie nationalistische Angebote sich verbreiten und angenommen werden. Das finde ich gerade auch vor dem Hintergrund des Aufstiegs der AfD in Deutschland wichtig. Die ist zwar bei weitem nicht so gut organisiert wie der Hindu-Nationalismus, versucht aber ähnliches und findet dabei Zuspruch.
Heteronormativität schließlich ist der Fachbegriff für das Normensystem, dass davon ausgeht, dass es nur Frauen und Männer gibt und diese sich gegenseitig begehren. Dieses Normensystem grenzt andere Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten aus. Während ich an dem Forschungsprojekt zum Indernet gearbeitet habe, habe ich mich zunehmend mit Fragen von Geschlecht und Sexualität beschäftigt und analysiert wie diese auf dem Indernet relevant werden. Das habe ich aus eigenem Interesse gemacht, aber auch weil es von Frauen und nicht-heterosexuellen Interviewpartner_innen zum Thema gemacht wurde. Hierbei interessiert mich wie über Geschlecht und Sexualität Gemeinschaft geschaffen wird und wie Normen ausschließend wirken können.
Das deutsch-indische Jugendseminar „indernet.de“ im November 2000 fand in Königswinter statt und wurde von allen Beteiligten nur „Köwi“ genannt. Wir als Macher sehen Köwi als einen Katalysator für unser Projekt. Wie hast Du das Seminar damals erlebt und was hat sich daraus entwickelt?
Wir vom Jugendforum der Deutsch-Indischen Gesellschaft wollten mit dem Seminar „Indernet.de“ in Königswinter eine Vernetzung junger Aktiver fördern und haben dafür uns bekannte Gruppen eingeladen. Das hat auch geklappt. Nur anders als wir gedacht haben. Die DIG hat darin weiter keine Rolle gespielt. Dafür hat Köwi, wie ich auch im Buch ausführe, dem Indernet einen wesentlichen Schub gegeben und zu einer Vernetzung vor allem mit Partyveranstaltenden geführt. Es war ein schönes Seminar und ich bin froh, dass wir es organisiert haben und so viele gekommen sind.
Welche besondere Anekdote verbindest Du mit dem Indernet?
Vor zwei Jahren war ich für mein neues Forschungsprojekt zu der Krankenschwesternmigration aus Kerala auf einem Familientreffen von zweite Generation Malayalis. Ein paar der Teilnehmenden kannte ich schon vom Indernet. Sie hatten mir vor 15 Jahren Interviews gegeben. Es war toll, sie nach so langer Zeit zu sehen und sprechen und es bestand eine überraschende Vertrautheit. Viele andere kannte ich nicht. Sie kannten mich aber zum Teil vom Indernet. Und als ich über das Buch gesprochen habe, fingen einige an über ihre Zeit im Gästebuch zu sprechen. Das Indernet war sofort präsent und offensichtlich mit vielen guten Erinnerungen verbunden. Wenn das Buch da noch nicht fertig gewesen wäre, hätte ich glatt noch Interviews führen können.
Würdest Du das Indernet künftig nutzen? Welche Inhalte müsste es anbieten?
Ich war ja im eigentlichen Sinne nie Nutzerin des Indernets, sondern habe es nur beobachtet. Das würde ich in Zukunft auch machen. Mein persönliches Interesse an natio-ethno-kulturellen Projekten ist recht eingeschränkt. Für südasiatische Themen bin ich über Facebook mit Leuten vor Ort vernetzt. Aber ich lasse mich gerne davon überraschen, was Ihr als nächstes vorhabt.
Vielen Dank für Deine Zeit!