In ihrem Artikel „What do the Indian General Elections Tell us about Kashmir’s Future?“ untersucht Dr. Leoni Connah vom Australian Institute of International Affairs die Ergebnisse der indischen Parlamentswahlen 2024 und ihre möglichen Auswirkungen auf die politisch instabile Region Kaschmir. Unter Premierminister Narendra Modi hat die Bharatiya Janata Party (BJP) seit 2014 eine Politik verfolgt, die von hindu-nationalistischen Ideologien geprägt ist. Trotz zahlreicher Vorwürfe, darunter die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten, Menschenrechtsverletzungen und die Verbreitung von Desinformation, konnte die BJP die Wahlen erneut gewinnen. Allerdings war der Sieg im Jahr 2024 weitaus weniger überzeugend als 2019, was die wachsende Stärke der Oppositionskoalition „INDIA“ unterstreicht.
Besonders bemerkenswert ist, dass die BJP in der muslimisch dominierten Region Kaschmir keine Kandidaten aufstellte. Dies wirft Fragen auf, ob die Partei ihre Macht in der Region bereits als gesichert betrachtet, insbesondere durch die Kontrolle über Jammu, oder ob sie aufgrund der direkten Kontrolle durch die Zentralregierung keine Notwendigkeit sah, um um Sitze in Kaschmir zu kämpfen. Trotz der Abwesenheit der BJP verzeichnete Kaschmir die höchste Wahlbeteiligung seit 35 Jahren. Dies deutet auf eine signifikante Veränderung im politischen Bewusstsein der Bevölkerung hin. Diese hohe Beteiligung widerspricht dem oft verbreiteten Bild von Kaschmir als eine Region, die eher mit separatistischen Bewegungen und militanten Organisationen in Verbindung gebracht wird.
Connah hebt die Widersprüche in der indischen Politik unter Modi hervor. Während Indien als die größte Demokratie der Welt gilt, waren die letzten beiden Amtszeiten der BJP von einer Zunahme von Gewalt gegen Minderheiten, drakonischen Gesetzen und einer verstärkten Anti-Islamismus-Politik geprägt. Trotz dieser Entwicklungen bleibt Modi ein äußerst populärer Anführer, der ein hinduistisch geprägtes Nationalbewusstsein fördert. Diese Popularität erklärt sich durch seine Fähigkeit, eine Vision von Indien zu vermitteln, die Kultur und Religion über Säkularismus und Liberalismus stellt, womit er bei einer mehrheitlich hinduistischen Bevölkerung auf breite Zustimmung stößt.
Die Entwicklung in Kaschmir seit Aufhebung von Artikel 370 im Jahr 2019, der der Region einen besonderen Status verlieh, ist besonders kontrovers. Während einige behaupten, dass dies zur Befriedung der Region beigetragen hat, sehen andere darin die völlige Entmachtung der Kaschmiris und eine weitere Einschränkung ihrer Autonomie. Connah betont, dass Modis Besuche in Kaschmir im Jahr 2024, sowohl vor als auch nach den Wahlen, Teil seiner Bemühungen sind, Normalität und Stabilität in der Region zu vermitteln. Modi lobte die politische Beteiligung der Kaschmiris und deutete an, dass regionale Parlamentswahlen ein Schritt in Richtung größerer politischer Selbstbestimmung sein könnten.
Die geplanten Regionalwahlen in Kaschmir, die im kommenden Monat stattfinden sollen, könnten ein entscheidender Moment für die Region sein. Sie könnten dazu beitragen, das Vertrauen in das politische System wiederherzustellen und die jahrzehntelangen Spannungen zwischen Kaschmir und der Zentralregierung zu mildern. Connah erkennt in ihrer Analyse eine Verschiebung hin zu einem positiveren Ausblick für Kaschmir, da die Möglichkeit einer regionalen Selbstverwaltung ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft der Region sein könnte. Sollte dies gelingen, könnte Kaschmir in eine neue Phase eintreten, in der es seine eigene Regierung wählt und sich aus der direkten Kontrolle durch Neu-Delhi befreit.
Für die breitere muslimische Bevölkerung Indiens könnte ein Rückschlag für Modi ein Gewinn für Minderheitenrechte sein. Doch wie Connah betont, bleibt den Kaschmiris wenig Wahl, wenn sie eine echte Veränderung im Tal herbeiführen wollen, als sich an dem politischen Prozess zu beteiligen, den Modi nun scheinbar zu fördern versucht. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu sehen, ob diese politische Beteiligung tatsächlich zu einer besseren Zukunft für Kaschmir führt.
