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Do, 21. November, 2024
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Indiens Hochschulen: zwischen Boom und Balance

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Indien verfügt über eines der größten und komplexesten Hochschulsysteme weltweit, dessen Wurzeln auf die britische Kolonialherrschaft zurückgehen. Die Briten etablierten ein Netzwerk von Hochschulen, das insbesondere in den Bereichen Naturwissenschaften, Medizin und Rechtswissenschaften westliche Lehrinhalte in englischer Sprache vermittelte. Nach der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 wuchs das System erheblich. Von 19 Universitäten und mehreren Hundert Colleges damals ist das Hochschulsystem heute auf über 1.000 Universitäten und fast 50.000 Colleges mit über 38 Millionen Studierenden angewachsen.

Das indische Hochschulsystem hat in den letzten Jahrzehnten ein beeindruckendes Wachstum verzeichnet. Zwischen 2008 und 2018 stieg die Zahl der Universitäten um 122 Prozent, die der Colleges um 65 Prozent. Parallel dazu verdoppelte sich die Zahl der Studierenden nahezu. Diese Expansion wird durch mehrere Faktoren angetrieben: politische Ziele zur Erhöhung der Studierendenquote, die demografische Entwicklung mit einer jungen Bevölkerung und die wachsende Wertschätzung von Bildung, insbesondere in der Mittelschicht, die Bildung als zentrale Investition in die Zukunft sieht.

Der Bildungssektor Indiens ist in staatliche und private Institutionen unterteilt. Private Hochschulen spielen eine zentrale Rolle im indischen Bildungssystem, da sie 38 Prozent der Universitäten und 78 Prozent der Colleges ausmachen und etwa 67 Prozent der Studierenden einschreiben. Diese privaten Institutionen sind in der Regel Bachelor-zentriert und haben oft keine nennenswerte Forschungsausrichtung. Trotz hoher Studiengebühren und der Flexibilität in der Gestaltung der Studienangebote ist die Qualität dieser Institutionen sehr unterschiedlich. Einige gehören zu den besten des Landes, während andere kaum reguliert sind und wertlose Abschlüsse vergeben.

Staatliche Hochschulen hingegen sind oft stark reguliert, aber auch hier gibt es Unterschiede in Bezug auf Autonomie und Qualität. Besonders hervorzuheben sind die „Institutions of National Importance“ wie die Indian Institutes of Technology (IIT) und die Indian Institutes of Science Education and Research (IISER), die über erhebliche Autonomie und ausreichende Finanzierung verfügen und Spitzenforschung betreiben. Auch die Zahl der Central Universities, die direkt der Zentralregierung unterstehen, ist gestiegen. Dennoch stellen State Universities die Mehrheit der Hochschulen, obwohl sie oft unter finanziellen und administrativen Einschränkungen leiden.

Die rapide Expansion des Hochschulsektors hat die indische Regierung und die Hochschulen vor große Herausforderungen gestellt. Trotz des Wachstums stagnieren die Ausgaben für Bildung seit Jahren bei unter vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), was im Vergleich zu anderen Schwellenländern niedrig ist. Ein weiteres Problem ist der erhebliche Mangel an qualifiziertem akademischem Personal. Durchschnittlich sind 40 Prozent aller Professuren unbesetzt, was auch renommierte Institutionen wie die IIT betrifft. Dies ist auf das Versäumnis zurückzuführen, in den letzten Jahrzehnten ausreichend wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden. Der Anteil der Promovierenden in Indien ist mit 0,3 bis 0,6 Prozent aller Studierenden sehr gering, verglichen mit knapp vier Prozent in Deutschland.

Zusätzlich erschweren unflexible regulatorische Anforderungen und eine überbordende Bürokratie die Besetzung von Stellen und die Verwaltung der Hochschulen. In Kombination mit der geringen Forschungsaktivität vieler Hochschulen und der fehlenden Internationalität, die durch eine niedrige Zahl ausländischer Lehrender und Studierender gekennzeichnet ist, stellt dies eine erhebliche Hürde dar.

In den letzten Jahren hat die indische Regierung eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Forschung und die Internationalisierung der Hochschulen zu stärken. Ein prominentes Beispiel ist der Wettbewerb um den Titel „Institution of Eminence“, der zehn staatlichen und zehn privaten Hochschulen umfassende Autonomie und finanzielle Unterstützung versprach. Ziel war es, diese Institutionen zu weltweit wettbewerbsfähigen Hochschulen zu entwickeln und ihre Platzierungen in internationalen Rankings zu verbessern. Allerdings erhielten nur wenige Institutionen den Zuschlag, was die Problematik der selektiven Förderung verdeutlicht: Die Initiativen profitieren nur wenigen Hochschulen, während der Großteil der Studierenden und Institutionen nicht berücksichtigt wird.

Die Forschung in Indien hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt, doch ist sie im internationalen Vergleich noch unterentwickelt. Indien stellt weniger als ein Prozent seines BIP für Forschung zur Verfügung, was weit unter dem Durchschnitt anderer Länder liegt. In der öffentlichen Forschungsförderung gibt es zudem eine Verschiebung von der Grundlagenforschung hin zu anwendungsorientierter Forschung. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) bezeichnet Indien als „wissenschaftliches Entwicklungsland“, da der Anteil indischer Publikationen an der weltweiten Gesamtzahl wissenschaftlicher Publikationen mit vier Prozent noch gering ist und die Zitierungen weit unter dem Durchschnitt liegen. Zudem sind viele Publikationen von geringer Qualität, was auf den hohen Publikationsdruck und das Fehlen von Monitoringmaßnahmen zurückzuführen ist.

Dennoch gibt es positive Entwicklungen. Global belegt Indien im Nature Index Platz 9, was auf eine wachsende Zahl qualitativer Publikationen hinweist.

Indien wird in den kommenden Jahren zweifellos eine immer sichtbarere und wichtigere Rolle in der internationalen Wissenschaftslandschaft einnehmen. Die Herausforderungen sind jedoch erheblich: Finanzierungsprobleme, der Mangel an qualifiziertem Personal und die starke Diskrepanz in der Qualität der Hochschulen erschweren die weitere Entwicklung. Die bisherigen Reformen und Förderprogramme zielen hauptsächlich auf wenige Spitzeninstitutionen ab, während der Großteil der Hochschulen und Studierenden wenig davon profitiert. Indien steht vor der Aufgabe, diese Ungleichgewichte zu beseitigen und ein Hochschulsystem zu schaffen, das qualitativ hochwertige Bildung und Forschung für alle bietet. Die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, wie sie bereits in vielen deutsch-indischen Hochschulkooperationen erfolgreich praktiziert wird, kann hierbei eine Schlüsselrolle spielen.

Quellen:

Foto: (c) Dollar Gill

Bijon Chatterji
Bijon Chatterji
Bijon Chatterji (*1978) ist Mitbegründer und Chefredakteur von theinder.net. Er studierte Biologie in Braunschweig, promovierte, forschte und lehrte in Hannover. Heute ist er als Global Lead für ein Biotechnologieunternehmen tätig und verantwortet dort u.a. den Bereich Indien. Von 2012-16 war Bijon Mitglied der Auswahlkommission für das "Deutsch-Indische Klassenzimmer" (Robert Bosch Stiftung / Goethe-Institut). Seit 2018 ist er Mitorganisator des "Hanseatic India Colloquium" und nahm 2023 auf Einladung der Bundesintegrationsbeauftragten erstmals an Dialoggesprächen im Bundeskanzleramt teil.

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